Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
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Interview mit Dr. Lothar Wittmann<br />
munizierbar. Ohne hätten wir Jahre mehr<br />
gebraucht.<br />
Würden Sie alles noch einmal genau<br />
so machen?<br />
Mir ist es noch zu früh, um sagen zu können,<br />
wo wir mit Projekten falsch gelegen<br />
haben. Da kann ich zu allem noch gut<br />
stehen. Meine Böcke würde ich natürlich<br />
nicht wiederholen wollen. Was war ich<br />
manchmal ungeduldig und ungerecht!<br />
Einmal musste ich mich in einer Kammerversammlung<br />
sogar selber rügen, weil ich<br />
als Sitzungsleiter beim Fortbildungsthema<br />
kämpferisch parteiisch war.<br />
Was würden Sie anders machen in<br />
der Rückschau nach 10 Jahren?<br />
Ich würde sicher noch mehr Wert auf Ökonomie<br />
legen und unter allen Umständen<br />
versuchen, in oder zwischen den Kammern<br />
mit Hilfe aus der Wissenschaft knowhow<br />
anzusiedeln, um den Erosionen des<br />
KV-Systems etwas entgegensetzen zu können.<br />
Die Interessen der Nicht-Niedergelassenen<br />
sind von mir wohl oft nur verbal-solidarisch<br />
bedient worden. Hier bleibt eine<br />
lange Agenda. Noch mehr Wert würde ich<br />
darauf legen, dass Verfahrensloyalitäten<br />
hinter Kammerloyalitäten zurücktreten und<br />
dass das Kammerpersonal das auch trägt.<br />
Auf drei Feldern müsste ich mehr leisten<br />
als bisher:<br />
Mit mehr Geduld müsste ich versuchen,<br />
die Enttäuschungen zu tragen. Enttäuschend<br />
ist vor allem, wenn Besitzstandsdenken<br />
und Ängste vor Veränderungen die<br />
Zukunftsperspektiven vernageln.<br />
Schlimm ist zum Zweiten, wie Bürokratie<br />
wuchert, was wir uns zum großen Teil<br />
selber zuschreiben müssen, da unser typisch<br />
deutsches Gerechtigkeitsempfinden<br />
überall Überdifferenzierungen schafft, die<br />
schwer zu administrieren sind.<br />
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Und zum Dritten, entnervend ist jeden Tag<br />
wieder neu, wie schwer Patientenschutz<br />
und Interessenvertretung für einen Berufsstand<br />
auszuwiegen sind.<br />
Sie waren eine Zeitlang auch Mitglied<br />
des Vorstandes der Bundespsychotherapeutenkammer.<br />
Was lag<br />
Ihnen bei der Arbeit auf Bundesebene<br />
besonders am Herzen?<br />
In der hektischen Gründungsphase lag<br />
mir besonders am Herzen, dass das Dach<br />
funktioniert, das heißt dass seine Schutzfunktion<br />
auch akzeptiert wird. Im Einsatz<br />
für die nicht anerkannten Verfahren oder<br />
in den ersten Gesundheitsreformrunden<br />
ist hier einiges geschafft worden, im Verhältnis<br />
zwischen Landeskammern und<br />
Bund gab es Unzufriedenheit und Enttäuschungen,<br />
die ein furchtbares Klima produzierten.<br />
Ich habe mich dem vergeblich<br />
entgegengestemmt. Das Klima ist in der<br />
Ära Richter dann dank der Vernunft aller<br />
Beteiligten aber rasch besser geworden.<br />
Es gibt Bestrebungen, dass beispielsweise<br />
VerhaltenstherapeutInnen<br />
die Gesprächspsychotherapie als<br />
Zweitverfahren lernen. Dies soll über<br />
Weiterbildungsordnungen geregelt<br />
werden. Rettet das die wissenschaftlich<br />
anerkannten Verfahren, die<br />
außerhalb des Sozialrechts stehen,<br />
oder was steckt dahinter?<br />
Ich mag nicht so recht daran glauben, dass<br />
Zweitverfahren wirklich an der Identitätsbildung<br />
wesentlich mitwirken, es sei denn sie<br />
lösen das Erstverfahren ab. Das geht aber<br />
nur bei entsprechender akademischer und<br />
sozialrechtlicher Verankerung – und da<br />
muss die Änderung herkommen.<br />
Gibt es noch ein Leben außerhalb<br />
der Psychotherapeutenkammer?<br />
Oh ja! Ich habe zwei halbfertige Kinderbücher<br />
liegen und ich freue mich auf jede<br />
Ballettveranstaltung, die ich besuchen<br />
kann und wenn „mein“ kleines Provinzmuseum<br />
mal wieder einen Knüller landet, wie<br />
mit einer Shanghai-Ausstellung im letzten<br />
Jahr, dann laufe ich beim Kochen für<br />
Freunde zur Vollform auf. Und so frage ich<br />
mich manchmal, ob ich meinen Patienten<br />
auch noch genug von mir übrig lasse.<br />
Na, da bin ich sicher!<br />
Ich weiß, normalerweise fragt man<br />
so etwas nicht, aber – wenn Sie<br />
gefragt werden würden oder Sie<br />
die Möglichkeit hätten, was würden<br />
Sie dem neuen Vorstand der PKN<br />
wünschen oder ans Herz legen? Was<br />
würden Sie dem Vorstand der PKN<br />
raten zu tun – oder auch zu lassen?<br />
Abgetretene sollten die Ratgeber-Klappe<br />
halten, wenn sie nicht von den zu Beratenden<br />
direkt gefragt werden und wenn, mag<br />
es gut sein, sich in Philosophie zu flüchten.<br />
Mein Motto lautet delphisch: medèn ágan<br />
(nichts im Übermaß).<br />
Herr Dr. Wittmann, ich danke Ihnen<br />
sehr für dieses Interview!<br />
Juliane Dürkop<br />
Mitglied des Redaktionsbeirates<br />
Präsidentin der Psychotherapeutenkammer<br />
Schleswig-Holstein<br />
Alter Markt 1-2<br />
24103 Kiel<br />
juliane.duerkop@pksh.de<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong>