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Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH

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Gestalttherapie – heute<br />

Lotte Hartmann-Kottek<br />

PP und FÄ für Innere Medizin/Neurologie/Psychiatrie und FA für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Kassell<br />

Zusammenfassung: Die Gestalttherapie, die als das wirksamste Verfahren der humanistischen<br />

Gruppe gilt, hat im März <strong>2011</strong> ihren Anerkennungsantrag beim Wissenschaftlichen<br />

Beirat Psychotherapie vorgelegt.<br />

Gestalttherapie verbindet typischerweise die prozess-erfahrungsorientierte Zugangsweise,<br />

die auch „experiential confrontation“ genannt wird, mit einem speziellen, mehrschichtigen<br />

therapeutischen Beziehungsangebot, das eine achtsame, individuelle,<br />

alters-, struktur- und störungsspezifisch adaptierte und dennoch authentische, therapeutische<br />

Kontaktgestaltung ermöglicht. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den<br />

gängigen Verfahren werden kurz beleuchtet. Ein Beispiel lädt in die Praxis ein.<br />

Vorwort<br />

Die Wirksamkeit der Gestalttherapie ist<br />

für psychotherapeutische Insider immer<br />

schon ein Faszinosum gewesen. In den<br />

letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sie<br />

daher eine Menge Nachahmer in unterschiedlichen<br />

Modifikationen gefunden.<br />

Die Gestalttherapie hat aktuell ihre Wirksamkeitsstudien<br />

beim Wissenschaftlichen<br />

Beirat Psychotherapie (WBP) eingereicht<br />

mit 69 Arbeiten (davon sind 26 randomized<br />

controlled trials [RCT], also Studien<br />

mit zufallszugeordneten Kontrollgruppen),<br />

mit dem Wunsch, wieder an der Patientenversorgung<br />

teilzunehmen.<br />

Geschichte der Gestalttherapie<br />

– kurzgefasst<br />

Die Gestalttherapie beginnt bei Fritz Perls<br />

(Dr. med. Friedrich Salomon Perls), geb.<br />

1893 in Berlin, gestorben 1970 in Chicago,<br />

und seiner Ehefrau Lore (Laura) Perls, geb.<br />

Posner, Gestaltpsychologin. Die Gestalttherapie<br />

spiegelt einerseits die Avantgarde<br />

des Zeitgeists jener Epoche wider, andererseits<br />

begegnen uns in der Gestalttherapie<br />

zeitlose, erkenntnistheoretische Fragen<br />

und Ansätze.<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong><br />

Als Quellen sind eingeflossen: Psychoanalyse<br />

bis ca. 1936 in verschiedenen Varianten,<br />

klassische (S. Freud u. a.), neoanalytische<br />

(K. Horney u. a.), reichianische (W.<br />

Reich u. a.), „aktive Psychoanalyse“ (S. Ferenczi);<br />

Gestaltpsychologie, Kybernetik und<br />

neurophysiologische Informationsverarbeitung<br />

(Goldstein, Conrad), Relativitätstheorie<br />

und Quantenphysik; Phänomenologie<br />

(E. Husserl), Existenzphilosophie, antike<br />

Philosophie (Heraklit), Neo-Kantianismus<br />

(S. Friedlaender), Chassidismus (M. Buber),<br />

Taoismus (LaoTse), ZEN-Tradition (Achtsamkeitskonzept),<br />

Holismus (J. Smuts),<br />

Konstruktivismus (A. Korzybski), Humanistische<br />

Psychologie (A. Maslow u. a.).<br />

Methodische Einflüsse: Intersubjektivitäts-<br />

und Beziehungsverständnis nach Buber,<br />

phänomenologischer Wirklichkeitszugang,<br />

ZEN-orientierte Bewusstseinsschulung,<br />

„sensory awareness“, psychoanalytisches<br />

Neurosenverständnis, Körperausdrucksschulung,<br />

Körpersprachverständnis, Mono-<br />

Psychodramatische Rollenspieltechnik (J.<br />

Moreno), Improvisationstheater, künstlerische<br />

Ausdruckskultur (u. a. bildnerisch,<br />

tänzerisch, musikalisch, dichterisch) und<br />

Gruppendynamik (K. Lewin).<br />

Die Konzeption der Gestalttherapie kann<br />

man für 1936 (Bruch mit Freud, Krise und<br />

Neubesinnung) ansetzen, ihre Geburt wird<br />

auf 1942 datiert, dem Erscheinungsjahr<br />

des gemeinsamen, gestalttherapeutischen<br />

Erstlingswerks von Fritz und Lore Perls,<br />

„Ego, Hunger and Aggression“. Die späteren<br />

Jahre führten Fritz Perls an die Westküste<br />

der USA, ferner auf Weltreisen in<br />

ZEN-Klöster, wo er sich unterweisen ließ,<br />

nach Israel und nach Europa (Deutschland)<br />

und wieder zurück in die USA, wo<br />

er lange im Esalen-Institut Seminare hielt,<br />

und schließlich nach Vancouver Island an<br />

den Cowichan See zog und eine Lebensgemeinschaft<br />

nach Art eines Kibbuzim im<br />

Geist des „Gestalt-Entwurfs“ gründete.<br />

Definition: Was ist<br />

Gestalttherapie?<br />

Komprimierte Definition des<br />

Verfahrens<br />

Die Gestalttherapie ist ein Verfahren,<br />

das aus einem wachstumsfördernden,<br />

mehrschichtigen, therapeutischen Beziehungsverständnis<br />

sowie aus seinem<br />

humanistischen Menschenbild heraus<br />

mit einer phänomenologischen Zugangsweise,<br />

(d. h. heutzutage prozesserfahrungsmäßig),<br />

ein erlebnis-, ressourcen-<br />

sowie ein lösungsorientiertes<br />

Bewusstwerdungsangebot macht, das<br />

hilft, in Achtsamkeit die innere und äußere<br />

Situation klarer zu erkennen.<br />

Dies ermöglicht sowohl angemessen notwendige<br />

Grenzen zu ziehen, wie auch und<br />

vor allem, gezielt zu unbewusst Ausgegrenztem<br />

über Kontakt, Begegnung, Dialoge<br />

und integrierende (Re-)Identifikation<br />

Verständnisbrücken herzustellen. Dabei<br />

werden die Teilaspekte konfliktlösend und<br />

stimmiger zu einem neuen Ganzen ge-<br />

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