Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH
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Beitrag der Psychologischen Psychotherapeuten<br />
zur Behandlung pathologischer Glücksspieler:<br />
Ergebnisse einer Pilotstudie in Bayern<br />
Ludwig Kraus1 , Monika Sassen1 , Martina Kroher1 , Zainab Taqi1 1, 2<br />
, Gerhard Bühringer<br />
1 IFT Institut für Therapieforschung, München<br />
2 Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Technische Universität Dresden<br />
Zusammenfassung: Es besteht ein zunehmender Bedarf an Beratung und Behandlung<br />
von Personen mit pathologischem Glücksspielen. Bisher ist unbekannt, inwieweit<br />
niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten (PP) sich an der Versorgung dieser<br />
Patientengruppe beteiligen. In einer Pilotstudie wurden im Jahr 2010 alle PP in<br />
Bayern, von denen eine E-Mailadresse bekannt war, mit einem kurzen Fragebogen<br />
angeschrieben (28,8% aller PP). Die Antwortrate betrug 29,9%. Im Jahr 2009 wurden<br />
von 28,0% der PP 122 Betroffene und Angehörige behandelt. Je nach Hochrechnung<br />
sind dies zwischen etwa 400 und 1.400 Personen in Bayern. Darunter waren 43 Patienten<br />
mit einer eigenen Diagnose pathologisches Glücksspielen (hochgerechnet etwa<br />
150 bis 500 Personen). Die Ergebnisse der Pilotstudie zeigen – im Vergleich zu etwa<br />
2.300 Patienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen in Bayern – einen überraschend<br />
hohen Beitrag der PP an der Versorgung pathologischer Glücksspieler. Weitere<br />
Untersuchungen zur Validierung und Vertiefung der Ergebnisse sind notwendig.<br />
1. Einleitung<br />
Die Arbeit befasst sich mit dem Beitrag,<br />
den niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten<br />
(PP) bei der therapeutischen<br />
Versorgung von pathologischem<br />
Glücksspielen leisten, und soll PP motivieren,<br />
sich stärker mit dieser Störungsgruppe<br />
zu befassen.<br />
Unter Glücksspielen wird im Allgemeinen<br />
das Setzen eines Wertes auf eine Wette,<br />
ein Spiel oder ein Ereignis mit einem unsicheren,<br />
vom Zufall bestimmten Ergebnis<br />
verstanden. Für die meisten Personen<br />
stellt die Teilnahme an Glücksspielen eine<br />
Freizeitaktivität dar, allerdings entwickelt<br />
eine Minderheit der Bevölkerung schwerwiegende<br />
Probleme als Folge ihres Glücksspielverhaltens.<br />
Sowohl in der Internationalen<br />
Klassifikation psychischer Störungen<br />
(ICD-10, Weltgesundheitsorganisation,<br />
1991) als auch im Diagnostischen und Statistischen<br />
Manual Psychischer Störungen<br />
152<br />
(DSM-IV, American Psychiatric Association,<br />
1994) werden pathologische Ausprägungen<br />
als Impulskontrollstörung klassifiziert.<br />
Diagnostische Merkmale für ein fehlangepasstes<br />
Spielverhalten sind vor allem der<br />
Verlust der Kontrolle über das Ausmaß<br />
des Glücksspielens, die starke kognitive,<br />
emotionale und motivische Einschränkung<br />
des Lebens auf das gestörte Verhalten und<br />
die negativen psychosozialen Folgen (Beziehungen,<br />
Arbeitsplatz). Angesichts von<br />
Befunden, die auf ähnliche Charakteristika<br />
bei pathologischem Glücksspielen und<br />
substanzbezogenen Störungen hinweisen,<br />
wird eine Einordnung als „nichtstoffgebundene<br />
Abhängigkeit“ diskutiert (Rumpf &<br />
Kiefer, <strong>2011</strong>).<br />
In Deutschland haben sich 49,4% der<br />
Bevölkerung zumindest einmal in den<br />
letzten 12 Monaten an einem Glücksspiel<br />
beteiligt, vor allem an Lotto und Fernsehlotterie<br />
(Bühringer, Kraus, Sonntag,<br />
Pfeiffer-Gerschel & Steiner, 2007). Je<br />
nach Studie erfüllen zwischen 0,19% und<br />
0,56% der erwachsenen Bevölkerung<br />
(103.000 bis 290.000 Personen) die Kriterien<br />
für pathologisches Glücksspielen<br />
(Bühringer et al., 2007; Buth & Stöver,<br />
2008; Bundeszentrale für gesundheitliche<br />
Aufklärung [BZgA], 2008, 2010). Die<br />
Anzahl der Personen mit einem vorklinischen<br />
problematischen Spielverhalten<br />
(inoffizielle Kategorisierung: 3-4 diagnostische<br />
Kriterien erfüllt) wird auf 0,29%<br />
bis 0,64% der Bevölkerung (149.000 bis<br />
347.000 Personen) geschätzt (Bühringer<br />
et al., 2007; Buth & Stöver, 2008; BZgA,<br />
2008, 2010).<br />
Pathologisches Glücksspielen ist mit einem<br />
erheblichen individuellen Leid und<br />
einer Beeinträchtigung der Lebensführung<br />
für die Betroffenen, die Familie und<br />
die soziale Umgebung sowie mit hohen<br />
persönlichen und sozialen Kosten verbunden.<br />
Darüber hinaus belegen Studien bei<br />
pathologischen Glücksspielern komorbide<br />
bzw. zusätzliche Belastungen durch Angststörungen<br />
(Kessler et al., 2008), Depressionen<br />
(Gerstein, Volberg, Harwood &<br />
Christiansen, 1999; Petry, Stinson & Grant,<br />
2005), Substanzabhängigkeit (Bondolfi,<br />
Jermann, Ferrero, Zullino & Osiek, 2008;<br />
Cunningham-Williams, Cottler, Compton<br />
& Spitznagel, 1998; Kessler et al., 2008;<br />
Petry et al., 2005) und Delinquenz (Smith,<br />
Wynne & Hartnagel, 2003).<br />
Seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags<br />
im Jahr 2008 sind sowohl das<br />
Angebot als auch die Nachfrage nach<br />
professioneller Hilfe bei pathologischem<br />
Glücksspielen in den Fokus der Öffentlichkeit<br />
gerückt. Im Jahr 2009 wurden in<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong>