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Psychotherapeutenjournal 2/2011 - medhochzwei Verlag GmbH

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Selbsterfahrung in der modernen Verhaltenstherapieausbildung<br />

sollten daher gerade in der Selbsterfahrung<br />

Raum haben. 2<br />

Methodisch können solche Prozesse vielfältig<br />

angeleitet und realisiert werden;<br />

beispielsweise können Rollenspiele zum<br />

Umgang mit schwierigen Patienten durchgeführt<br />

werden, die eigenen Tabuthemen<br />

können in Kleingruppenarbeiten reflektiert<br />

werden oder Selbsteinschätzungen zu<br />

eigenen therapeutischen Kompetenzen<br />

können in der Gruppe erarbeitet und kritisch<br />

diskutiert werden.<br />

6. Sensibilisierung für den<br />

sozialen Kontext psychischer<br />

Störungen und des therapeutischen<br />

Handelns<br />

Hierunter verstehen wir die Reflexion der<br />

sozialen Umwelt als wesentlichem Einflussfaktor<br />

auf therapeutische Prozesse. Sowohl<br />

die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer<br />

Störungen als auch das therapeutische<br />

Handeln sind in soziale und gesellschaftliche<br />

Prozesse eingebettet, die es zu<br />

erkennen und zu berücksichtigen gilt.<br />

Für die Selbsterfahrung bedeutet das in erster<br />

Linie, die Gruppe als soziales Lernfeld zu<br />

nutzen und für die in der Gruppe ablaufenden<br />

Interaktionsprozesse zu sensibilisieren.<br />

Alle für das therapeutische Handeln so wichtigen<br />

Faktoren der Beziehungsgestaltung<br />

und -steuerung können in der Selbsterfahrungsgruppe<br />

sichtbar gemacht werden. Die<br />

Gruppe wird als Mikrokosmos gesehen, innerhalb<br />

dessen Beziehungshandeln deutlich<br />

wird: Selbst- und Fremdwahrnehmung werden<br />

thematisiert und analysiert.<br />

Methodisch kann hierzu auf eine Fülle an<br />

Vorgehensweisen zurückgegriffen werden.<br />

Je nach der Phase, in der sich die Selbsterfahrungsgruppe<br />

befindet (Gruppen, die<br />

am Anfang der Gruppenselbsterfahrung<br />

stehen erfordern andere Interventionen als<br />

Gruppen, die bereits mehrere Selbsterfahrungsseminare<br />

miteinander geteilt haben),<br />

können Erlebensprozesse in der Gruppe<br />

genutzt werden – etwa Instruktionen zur<br />

Analyse von Rollenstereotypen, zur Fremdwahrnehmung,<br />

zur Beziehungsgestaltung<br />

etc. Ziel ist bei allen diesen Vorgehensweisen,<br />

die soziale, interaktionelle Bedingtheit<br />

psychischen Erlebens bewusst zu machen<br />

und den Teilnehmenden ein Gespür da-<br />

150<br />

für zu vermitteln, dass diese Phänomene<br />

auch die Entstehung und Aufrechterhaltung<br />

psychischer Störungen bestimmen. Es war<br />

bereits darauf hingewiesen worden, dass<br />

die gegenwärtige wissenschaftliche Orientierung<br />

an naturwissenschaftlich geprägten<br />

Ätiologiemodellen zu einer Vernachlässigung<br />

dieser sozio-psychologischen Determinanten<br />

beiträgt und Ausbildungsteilnehmende<br />

im Verlauf der theoretischen<br />

Ausbildung eher zu wenig Informationen zu<br />

den gesellschaftlichen Bedingungen psychischer<br />

Störungen erhalten.<br />

7. Ressourcenorientierung und<br />

Burn-out-Prophylaxe<br />

Möglichst früh sollten psychotherapeutisch<br />

Handelnde zu einem fürsorglichen Umgang<br />

mit den eigenen Kräften angeregt werden.<br />

„Psychohygiene“ und „Selbstfürsorge“ dienen<br />

der Erhaltung der eigenen Arbeitskraft<br />

und damit letztlich dem Wohl der Patientinnen<br />

und Patienten (Hoffmann & Hofmann,<br />

2008; Norcross, Guy & Dilling, 2010).<br />

Konkret sollte die Selbsterfahrung Bausteine<br />

enthalten, die eine selbstreflexive Auseinandersetzung<br />

mit dem therapeutischen<br />

Handeln vor dem Hintergrund des gesamten<br />

beruflichen und privaten Lebens<br />

ermöglichen und Entlastung im wahrsten<br />

Wortsinn bieten. Dabei ist neben einer<br />

aktuell-kurzfristigen Ermutigung und Unterstützung<br />

bei anstehenden Lebensaufgaben<br />

(wie Belastung durch die Ausbildung,<br />

eventuell Kindererziehung, Promotion)<br />

vor allem auch an längerfristige Burn-out-<br />

Prophylaxe zu denken. Interventionen<br />

zum Erkennen persönlicher Vulnerabilitätspunkte<br />

und die Erarbeitung entsprechend<br />

hilfreicher Copingstrategien sind wichtig.<br />

Besonders sollten Techniken zur Ressourcenidentifikation<br />

und -stärkung vermittelt<br />

werden. Und auch solche zu Selbstfürsorge,<br />

zu Abgrenzung/Selbstdistanz, zu Stolz,<br />

Dankbarkeit, Humor, gehören aus unserer<br />

Sicht zum unverrückbaren Bestand einer<br />

guten Selbsterfahrung. Damit wird auch<br />

neueren Entwicklungen der „Positiven Psychologie“<br />

(z. B. Seligman, Rashid & Parks,<br />

2006; Frank, 2010) Rechnung getragen,<br />

deren Konzepte für konkrete therapeutische<br />

Interventionen genutzt werden können,<br />

wie z. B. Ressourcenanalysen, Selbstachtsamkeitstraining<br />

etc. (vgl. auch Fliegel<br />

& Kämmerer, 2006, 2009).<br />

Ein ressourcenorientiertes Denken in der<br />

Selbsterfahrung zu realisieren hat den Vorteil,<br />

den Aspekt der Selbstentfaltung in und<br />

durch Selbsterfahrung in den Vordergrund<br />

zu rücken, etwa im Sinne von „Ich möchte<br />

mich weiterentwickeln...“ und einem „...<br />

hin zu...“. Damit grenzen wir uns ab von<br />

Konzepten, die in der Selbsterfahrung die<br />

Modifikation eigenen Verhaltens im Sinne<br />

eines „Ich muss mich verändern...“, „... weg<br />

von...“ allzu sehr betonen (z. B. Ubben &<br />

Lohmann, 2007). Grundgedanke unserer<br />

Konzeption ist, dass durch die Formulierung<br />

positiver Annäherungsziele Spaß und<br />

Freude und damit eine größere Verbindlichkeit<br />

bei der Realisierung von Entwicklungsprozessen<br />

erreicht wird (im Gegensatz<br />

zu einer defizitfokussierten und eher<br />

reaktanzerzeugenden Perspektive).<br />

Schlussbemerkungen<br />

Die verschiedenen Bausteine sind geprägt<br />

von der Überzeugung, dass angemessenes<br />

und gutes Therapeutenverhalten ein hohes<br />

Ausmaß an Sensibilität für Interaktionsprozesse<br />

erfordert. Denn psychotherapeutisches<br />

Handeln erfolgt immer zwischen<br />

(mindestens) zwei Menschen mit ihrer je<br />

eigenen, spezifischen Lerngeschichte und<br />

den damit verbundenen Schemata und<br />

Überzeugungen. Es gilt also, die Selbsterfahrung<br />

so zu gestalten, dass angehende<br />

Therapeutinnen und Therapeuten die eigenen<br />

relevanten Persönlichkeitscharakteristika,<br />

deren Ursprünge und möglichen<br />

Aktivierungen im therapeutischen Kontakt<br />

mit Patienten und Patientinnen gut kennen.<br />

Nur dadurch kann verhindert werden, dass<br />

eigene Verhaltensmuster den Therapieprozess<br />

negativ beeinflussen, indem zum Beispiel<br />

Fehlattributionen zu Lasten des Patienten<br />

oder der Patientin vorgenommen und<br />

Schwierigkeiten nicht gelöst, sondern eventuell<br />

sogar intensiviert werden. Im Sinne<br />

der Kompetenzerweiterung oder auch patientenbezogenen<br />

Selbsterfahrung (Hippler<br />

& Görlitz, 2001) können Rollenspiele zu<br />

2 Insbesondere daran wird deutlich, dass die<br />

Anleiterinnen und Anleiter der Selbsterfahrung<br />

möglichst unabhängig von dem Ausbildungsinstitut<br />

sein sollten. Sie sollten frei und<br />

unabhängig von finanziellen oder institutionellen<br />

Zwängen Entscheidungen treffen und<br />

Empfehlungen aussprechen können.<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2011</strong>

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