charles Toulouse
25 FaTzeR von Bertolt Brecht (1898–1956) & DeR auFTRag von heiner Müller (1929–1995) premiere: 16. Februar <strong>2013</strong>, Black Box Regie: stephan suschke Ein Kurzdrama und ein Fragment fügt Stephan Suschke in dieser Produktion zu einer drängenden Frage zusammen: Was schuldet der Einzelne der Gemeinschaft? Ein Schlachtfeld. Mondlandschaft. Wir hören auf, steht da handgeschrieben auf einem Panzer. Die vier Männer der Besatzung sind desertiert. Alle Hoffnungen ruhen nun auf ihrem Anführer: Fatzer. Aber Fatzer ist ein Schädling. Dass er sich nimmt, was er von ihnen braucht, stört sie nicht. Aber er darf nicht verweigern, was sie von ihm brauchen. Szenenwechsel: ein Gefängnis auf Jamaika. Der Bürger Galloudec, unterwegs in geheimem Auftrag einer Revolution, die es schon längst nicht mehr gibt, liegt im Sterben. Vor seinen Augen erscheinen die Gefährten: Sasportas, der gehängt worden ist. Und Debuisson, der sie verraten hat. Die Möglichkeit einer anderen Welt spielerisch ergründen Zwei Fragen an Stephan Suschke Die Utopie ist der Traum des Begriffs: Der Utopie liegt immer eine gesellschaftliche Abstraktion, ein Kollektiv zugrunde, und dieses wird im Gegenzug von der Utopie erst konstruiert. Haben die Begriffe aber nicht längst ausgedient? Gibt es statt der Kollektive nicht nur noch atomisierte Individuen? S.S.: Es gibt eine Formulierung von Hanns Eisler: Wenn den Arbeitern die Hummersuppe zu den Ohren rauskommt, werden sie wieder über den Sozialismus nachdenken. Abgesehen davon, dass der Sozialismus als Begriff für lange Zeit diskreditiert ist – leider zu Recht – finde ich, dass es die vornehmste Aufgabe des <strong>Theater</strong>s ist, darüber nachzudenken, wie andere Formen des Zusammenlebens aussehen könnten und dies spielerisch zu ergründen. Auch wenn wir ›negative‹ Vorlagen liefern, wird dahinter die Sehnsucht nach einer anderen Welt deutlich, muss deutlich werden. So wie sie ist, ist die Welt nicht gut. Es ist, als hätte es 2000 Jahre Kultur nicht gegeben, als hätten wir vergessen, was die Losung der Französischen Revolution war. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: eine uneingelöste Forderung in dieser noch immer nicht bürgerlichen Welt. Welche Parallelen, welche Unterschiede gibt es zwischen »Der Auftrag« und »Fatzer«? S.S.: Sie sind aus sehr unterschiedlichen Erfahrungen heraus geschrieben; der Abstand beträgt etwa ein halbes Jahrhundert. Trotz 30 Jahren real existierenden Sozialismus’ hatte Müller die Ahnung, dass dieser Versuch, eine Alternative zum Kapitalismus zu schaffen, scheitert. Deshalb greift er zurück auf die Zeit nach der Französischen Revolution, was ein ähnlicher Nullpunkt von Geschichte ist wie das Ende des 1. Weltkrieges, das Brecht beschreibt. Beide Texte haben eine gewisse Offenheit der Form. Man hat wie in einem Lego-Baukasten ganz viele Teile, aus denen man sich sein eigenes Stück zusammenbasteln kann. Auch als Zuschauer. »Der Auftrag« ist ein fertiges ›Stück‹, »Fatzer« wird es erst durch die Inszenierung. Die Themen hören nicht auf, wichtig zu sein, solange es Ausbeutung, Sexualität und Tod gibt. Ich vermute, das dauert noch ein bisschen.