Magazin 197910
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Erst der Tod des achtlahrigen Oliver<br />
Ludwlg, der beim Spielen mit Munition,<br />
die der Junge auf dem Gelande der<br />
sliligelegten ChemiefabrIk Stoltzenberg<br />
In Hamburg-Eidelstedt gefunden hatte,<br />
ums Leben kam. deckte einen "kaum<br />
vorstellbaren Skandal " (so Hamburgs<br />
2. Burgermeister Helga Elstner) auf:<br />
Unter freiem Himmel lagerten Hunderte<br />
von Kisten ; auf dem morschen Holz<br />
klebten Zettel mit dem Totenkopf-Symbol<br />
" Gift Aus halbverrosteten Tonnen<br />
traten die verschiedensten Chemikalien<br />
aus, In einem alten HelzoUank wurden<br />
Tausende alter Nebeltopfe gefunden.<br />
Insgesamt kamen eiligst herbeigerufene<br />
Experten auf 61 Substanzen, von denen<br />
manche extrem glfllg sind .<br />
Mit der Bergung begannen der stad Iisehe<br />
Munillonstrupp und Bundeswehr<br />
SpezIalIsten aus Munster-Lager Ein<br />
fruherer Mitarbeiter der Firma Informierte<br />
den Krisenstab, daß bel Stoltzen<br />
berg auch mit den Nervengasen<br />
Tabun. Sarin und Soman experimentiert<br />
worden sei. Dank semer genauen Aufzeichnung<br />
konnten acht Granaten mit<br />
Tabun gefunden werden , und zwar<br />
in einer verfallenen Toilette hinter einigen<br />
Flaschen Brennsplntus versteckt<br />
Zwei Granaten waren bereits so verroltet.<br />
daß sie erst vorsichtig mit einer<br />
GIpsmanschette geSichert werden mußlen,<br />
ehe sie per Sondertransport ins<br />
Bundeswehrdepot Munster-Lager gebracht<br />
werden konnten. Außerdem fand<br />
man noch 30 lIler Nervengase In Flaschen<br />
Nach Angaben der Chemiker<br />
kann ein Kilogramm Tabun beim Verdunsten<br />
200 000 Menschen toten, die<br />
Gase Sann und So man Sind noch wesentlich<br />
gefährlicher.<br />
Wahrend der Bergungsarbeiten wurden<br />
die Bewohner der umliegenden Hauser<br />
evakUiert Zeitweise konnten nur jeweils<br />
vier SpeZialisten In ABC-Schutzanzugen<br />
und mit Atemschutzgeraten auf dem<br />
Gelande arbeiten , da man Explosionen<br />
befurchlete, Und sie mußten In kurzen<br />
Fristen Immer wieder abgelöst werden ,<br />
da aus verschiedenen Behältern hochgiftige<br />
Phosgen-Gase austraten Behalter.<br />
gefullt mit mehreren Tonnen Zlnkschlamm,<br />
mußten Stuck fur Stuck<br />
durchsucht werden , weil in dem<br />
Schlamm noch Sprengkorper steckten.<br />
Insgesamt wurden uber 120 Tonnen<br />
Gift und ExplOSivstoffe abtransportiert.<br />
Daß bel der Firma Stoltzenberg mit<br />
großer Sorglosigkeit gearbeitet wurde,<br />
ISt bereits seit dem 20. Mal 1928 bekannt.<br />
als bei einer Explosion eines<br />
Behalters mit Giftgas zehn Menschen<br />
starben und 200 verletzt wurden . Damals<br />
sagte der SPD-Abgeordnete Dr.<br />
Haubach in einer Sitzung der Hamburger<br />
Burgerschaft: "Wie Ich inzwischen<br />
erfahren habe. hat bereIts zu BegInn<br />
des Jahres eine ReIhe Hamburger Behorden<br />
und aufsichtsfuhrender Organe<br />
dIe Art und Weise bemängelt, wie Herr<br />
Dr Stoltzenberg die Auflagen ausgefuhrt<br />
hat, die Ihm von den Behorden<br />
auferlegt wurden , DIe erste Behorde<br />
In diesem völlig<br />
verrosteten Heizöltank<br />
lagerten Tausende<br />
von Nebeltopfen.<br />
Der ABC -Einsatz<br />
Zug der Bundeswehr<br />
auf dem HamburgerFirmengelände;<br />
im Vordergrund<br />
ABC -Schutzanzüge,<br />
die zum<br />
Trocknen aufgehangt<br />
sind.<br />
war die Feuerwehr, die festgestellt hat:<br />
Hier sind verschiedene Dinge nicht<br />
In Ordnung " Und Dr Rosenbaum<br />
(DDP) meinte: " Wir haben von der<br />
Pohzelbehorde geh ort, daß die Gefahr<br />
beseitigt ist, daß das Gas schleunigst<br />
aus Hamburg entferni und vernIchtet<br />
und in Zukunft niemals wieder die Erlaubnis<br />
erteilt werden wird , Giftgas im<br />
Hamburger Staatsgebiet zu lagern.<br />
Damit steht fest. daß diese furchtbare<br />
Katastrophe in Hamburg Sich nicht wiederholen<br />
kann ."<br />
Die Untersuchungen der EreIgnisse<br />
Im Jahre 1979 sind noch nicht abgeschlossen<br />
, ledoch ISt jetzt schon sicher,<br />
daß das " Erbe" der stillgelegten Hamburger<br />
FIrma Polil1ker und Verwaltungen<br />
Intensiv beschäftigen wird. wIe schon<br />
einmal - vor 50 Jahren.