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Entscheidung überläßt. Man muß sich K. nicht als Schriftsteller,<br />
son<strong>de</strong>rn stets mit <strong>de</strong>r Schärfe seiner Wahrnehmungsgabe als Privatperson,<br />
als »Partei« im Verkehre mit <strong>de</strong>n Ämtern vorstellen,<br />
um das Maß seiner bürgerlichen Qualen zu ermessen.<br />
In gleicher Weise wie auf die vereinzelte Bedrängnis im Alltagsverkehr<br />
sah K. auf die Brutalitäten <strong>de</strong>r Welt, die im Buche <strong>de</strong>r Geschichte<br />
verzeichnet sind. Denn, wie gesagt, K. sah nicht die einzelnen<br />
konkreten Ereignisse, son<strong>de</strong>rn Zeichen eines Systems, das<br />
auf mannigfachste Weise zur Geltung kommen konnte: einmal auf<br />
<strong>de</strong>m Bahnhof o<strong>de</strong>r im Amte, ein an<strong>de</strong>rmal wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Weltforum<br />
in unendlichen Dimensionen. Der unfähige Portier und <strong>de</strong>r<br />
unfähige Kaiser, bei<strong>de</strong> waren schließlich und endlich nur verschie<strong>de</strong>ne<br />
Erscheinungsformen ein und <strong>de</strong>sselben Systems. Wenn nun<br />
<strong>de</strong>m so ist und sich das Chaos <strong>de</strong>r Kriegsjahre auf einen einzigen<br />
Haupturheber zurückführen läßt, wenn im Hintergrund von dieser<br />
Vielheit irgen<strong>de</strong>ine Einheit besteht: dann ist die Bedingung für<br />
eine künstlerische Darstellung dieser bunten Vielheit gegeben, für<br />
eine Darstellung, die bei allen Einzelheiten einen Grundzug verrät.<br />
Diese bildhafte Darstellung gab K. mit seiner Tragödie »Die<br />
letzten Tage <strong>de</strong>r Menschheit«.<br />
Das Werk ist von einer Eigenart, die schwer eine Einreihung gestattet.<br />
Es ist keine Tragödie im üblichen Sinne, son<strong>de</strong>rn in einem<br />
gewissermaßen neuen und schrecklichen Sinne. Held ist die<br />
Menschheit — ein unsichtbarer Held, <strong>de</strong>r nirgends und überall ist.<br />
Der Held tritt als serbischer Bauer auf, <strong>de</strong>r sein eigenes Grab<br />
schaufelt, als tapferer Landsturmmann, sterbend im Gesichtsfeld<br />
<strong>de</strong>r photographischen Linse, als ein Kind mit durchschossener<br />
Stirn. Man kann schließlich sagen, daß dieses Werk nicht eine<br />
Tragödie <strong>de</strong>r Menschheit, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Schöpfung ist. Die Schöpfung<br />
selbst wird Heldin <strong>de</strong>r Handlung; es erscheint ein ausgero<strong>de</strong>ter<br />
Wald, <strong>de</strong>ssen Bo<strong>de</strong>n von Granaten und Schrapnells zerwühlt<br />
ist; ein Hund, mit <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>r großen Zeit an seinem Leibe.<br />
Der tragische Charakter dieses Buches ist von einer <strong>de</strong>rartigen<br />
Wucht, daß es paradox erscheinen muß, wenn Leute, die es lasen<br />
und sich <strong>de</strong>n Inhalt zu Gemüte führten, so weiter leben wie vorher.<br />
Begreiflich macht dieses Paradoxon nur die Tatsache, daß es<br />
schließlich Menschen gibt, die <strong>de</strong>n Inhalt in all seiner Schrecklichkeit<br />
erlebten und doch überlebten. Hier offenbart sich <strong>de</strong>m Beobachter<br />
eine natürliche Erscheinung, die fast alle Hoffnungen<br />
schwin<strong>de</strong>n läßt. Wenn die Menschen nicht im Weltkrieg Erfahrungen<br />
gewannen, wenn die Schrecken <strong>de</strong>s Kriegs, <strong>de</strong>r Tod so vieler<br />
<strong>An</strong>verwandten, die Lebensunfähigkeit so vieler neugeborener und<br />
ungeborener Kin<strong>de</strong>r, wenn dieses ganze Grauen kein Memento für<br />
alle Zeiten wur<strong>de</strong>, das die Möglichkeit einer Wie<strong>de</strong>rkehr ausschloß<br />
— ja wovon läßt sich dann noch erwarten, daß <strong>de</strong>m ein<br />
En<strong>de</strong> für allemal wird? Wenn ein Kind, das sich am Montag verbrannte,<br />
am Dienstag wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Ofen kriecht, dann ist nur zu<br />
wahrscheinlich, daß es schließlich und endlich ein Opfer <strong>de</strong>r<br />
Flammen wird. Die utopistische Hoffnung <strong>de</strong>r Denker, daß die<br />
Vernunft die Menschheit retten wird, wur<strong>de</strong> niemals ernst genommen<br />
und wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Neuzeit so gründlich wie nur möglich durch<br />
das Fiasko von Robespierres »Vernunftkultur« wi<strong>de</strong>rlegt, woran