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Verwaltungsrecht I - Studentische Organisationen Uni Luzern

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• im Falle eines stossenden Widerspruchs zum Gerechtigkeitsgedanken.<br />

Beispiel Häfelin/Müller Randziffer Nr. 529. Eine ausländische Staatsangehörige durfte das Hotelzimmer während einer<br />

Woche nicht mehr verlassen, weil sie verdächtigt wurde, in ein Drogendelikt verwickelt zu sein. Sie klagte auf Genugtuung und<br />

erhielt 100.- Franken. Dies ist offensichtlich viel zu wenig für einen faktischen Entzug der Bewegungsfreiheit von 6 Tagen und<br />

hält deswegen vor Art. 9 BV nicht stand.<br />

Beispiel BGE 118 Ia 497 ff.<br />

In diesem BGer-Fall ging es um ein Grundstück, welches für 4.1 Millionen Franken verkauft wurde. Der amtliche Wert dieses<br />

Grundstückes betrug 4.6 Millionen, Liegenschaftsschätzer schätzten ihn auf 6 Million. Die Steuerbehörde ging eigenmächtig<br />

davon aus, dass zusätzlich zum Grundstückverkauf eine Schenkung einer halben Million vorliegt und erhob darauf eine<br />

Schenkungssteuer (Differenz Kaufpreis/amtlicher Wert). Das kantonale Recht hat zwar andere Definition der Schenkung als im<br />

Privatrecht, doch diese Definition beinhält aber ebenfalls den Schenkungswillen als Voraussetzung der Schenkung. Das BGer<br />

meinte, dass es willkürlich ist, wenn die Steuerbehörde hier einfach von einer Schenkung ausgeht, ohne Schenkungswillen zu<br />

überprüfen.<br />

Im Gegensatz zum Gebot der rechtsgleichen Behandlung werden beim Willkürverbot nicht verschiedene Rechtsanwendungsakte<br />

miteinander verglichen, sondern es wird nur das Verhältnis zwischen dem angewandten Rechtssatz und dem betreffenden<br />

Anwendungsakt untersucht. Mit einem willkürlichen Entscheid muss deshalb nicht ein Verstoss gegen den Grundsatz der<br />

Gleichbehandlung verbunden sein.<br />

Aus Art. 9 BV folgt indessen nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung kein selbstständiger Anspruch auf willkürfreies<br />

Handeln des Staates. Das Bundesgericht tritt auf staatsrechtliche Beschwerden wegen Willkür nur ein (Eintretensentscheid),<br />

soweit das Gesetzesrecht, dessen willkürliche Anwendung behauptet wird, dem Beschwerdeführenden einen Rechtsanspruch<br />

einräumt oder den Schutz seiner beeinträchtigten Interessen bezweckt (Voraussetzung des rechtlich geschützten<br />

Interesses). 9 Trotz ausdrücklicher Verankerung des Willkürverbots als selbstsständiges verfassungsmässiges Recht in Art.<br />

9 der neuen Bundesverfassung hält das Bundesgericht bedauerlicherweise an dieser Rechtsprechung fest. Mit dem neuen BGG<br />

wird das BGer (hoffentlich) diese Argumentation umstürzen, weil für die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten<br />

kein rechtlich geschütztes Interesse mehr als Voraussetzung vorhanden sein muss. Offen bleibt die Anwendung bei der subsidiären<br />

Verfassungsbeschwerde, wo erneut ein rechtlich geschütztes Interesse vorhanden sein muss.<br />

§ 9 Der Grundsatz des öffentlichen Interesses<br />

I. Der Begriff des öffentlichen Interesses<br />

Das öffentliche Interesse ist Voraussetzung für jede staatliche Tätigkeit (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV). Der Staat hat das Wohl<br />

der Allgemeinheit zu schützen und zu fördern und die Anliegen der staatlichen Gemeinschaft wahrzunehmen.<br />

Inhalt und genaue Tragweite des Begriffes des öffentlichen Interesses lassen sich nicht in eine einfache allgemein<br />

gültige Formel fassen. Man kann z.B. positiv umschreiben, dass es sich bei den öffentlichen Interessen um das Wohl<br />

der Allgemeinheit handelt. Positive Umschreibungen sind aber nicht besonders aussagekräftig und helfen kaum weiter. Negativ<br />

umschreiben lassen sich die öffentlichen Interssen etwa folgendermassen: “Öffentliche Interessen sind alle Interessen abzüglich<br />

der privaten Interessen”. Doch diese Definition funktioniert auch nicht nahtlos, weil viele private Interessen sich mit öffentlichen<br />

Interessen decken (z.B. Schutz der Meinungsfreiheit, Schutz der Polizeigüter Leben, Gesundheit, Ordnung und Lärmschutz).<br />

Eine weiter negativer Definitonsversuch wäre, dass die sog. fiskalischen Interessen (Interessen die der Mittelverschaffung<br />

für staatliche Aufgaben dienen) keine öffentliche Interessen sind. Diese Aussage ist so jedoch auch nicht vollends richtig,<br />

weil die Mittel zur Aufgabenerfüllung des Staates gebraucht werden.<br />

Deshalb bleibt nur die Möglichkeit, dass die Rechtsordnung selbst umschreibt, was unter öffentlichen Interessen zu<br />

verstehen ist. Die öffentlichen Interessen sind aus den Verfassungen (Bund und Kanton) ablesbar. Diese Aussagen der Verfassungen<br />

werden in der Regel durch Gesetze und Verordnungen konkretisiert. (z.B. Art. 74 BV, Konkretisierung im Umweltschutzgesetz<br />

und zahlreichen Verordnungen). Schlussendlich konkretisieren die rechtsanwendenden Organe die öffentlichen<br />

Interessen im Einzelfall (sie entscheiden, welche Interessen gegenstehenden Interessen überwiegen).<br />

9 Nicht der Fall ist dies bei Entschliessungsermessen (“kann”-Bestimmungen). z.B. bei Stipendienerteilungen, Aufenthaltsbewilligungen, bei Wahlen.<br />

<strong>Verwaltungsrecht</strong> I: Zusammenfassung Seite 20

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