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Verwaltungsrecht I - Studentische Organisationen Uni Luzern

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17. Mai 2006<br />

Beispiel Häfelin/Müller Randziffer Nr. 678 (683): Die Schweizerbürgerin B lebte seit ihrer Geburt im Ausland. Sie wurde<br />

vom Schweizerischen Konsulat darauf aufmerksam gemacht, dass sie freiwillig der AHV beitreten könne. B tat dies tatsächlich<br />

auch und gab bei der Einkommenserklärung die Erklärung (wie vom Konsulat empfohlen!) ab, dass sie “nicht erwerbstätige<br />

Witwe” sei und somit von der Beitragspflicht zu befreien sei. Nach Erreichen des Rentenalters hat die AHV keine Rente ausbezahlt,<br />

mit der Begründung, dass die Mindestbeitragsdauer (von einem Jahr) nicht eingehalten wurde (da B immer von der<br />

Beitragspflicht befreit wurde).<br />

Die Auskunft war genügend bestimmt, weil sie sich auf eine bestimmte Person und einen bestimmten Fall bezog. Sie war vorbehaltslos<br />

erteilt worden. Das Konsulat kann als zuständig erklärt werden, weil die konsularischen Vertretungen für Auslandschweizer<br />

allgemeine Auskunftsstellen sind für die Rechtslage in der Schweiz. Sachverhalt und Rechtslage haben sich seit der<br />

Auskunftserteilung nicht geändert. Eine Vertrauensgrundlage ist also gegeben.<br />

Fraglich bleibt, ob Frau B nicht hätte merken müssen, dass eine Mindestdauer einer Beitragspflicht für die Bezahlung von Renten<br />

vorgeschrieben war. Da ihr aber die Auskunft erteilt wurde, dass sie den Vermerk “nicht erwerbstätige Witwe” eintragen<br />

kann, muss diese Frage verneint werden. Als Auslandschweizerin muss sie (von der Schweizerischen Rechtslage) nicht mehr<br />

wissen als das für das schweizerische Recht zuständige Konsulat. Die Voraussetzung des Vertrauens ist also gegeben<br />

Sie hat ihr Vertrauen dadurch betätigt, i dem sie nicht gearbeitet hat (und damit die Mindestbeitragsdauer nicht erfüllt hat)<br />

oder in Kenntnis der Mindestbeitragsdauer eine andere Altersversicherung abgeschlossen hat. Diese Disposition lässt sich<br />

nicht ohne Schaden rückgängig machen. Die Voraussetzung der Vertrauensbetätigung ist also erfüllt.<br />

Das öffentlicheInteresse des Gesetzmässigkeitsprinzips haben im vorliegenden Fall hinter privaten Interessen der B am Vertrauensschutz<br />

zurückzutreten. Es sind keine zwingenden Gründe ersichtlich, welche das Interesse an der Gesetzmässigkeit<br />

stärker bewerten sollten.<br />

Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes sind im vorliegenden Fall also gegeben. Die Rente muss trotz Gesetzwidrigkeit<br />

ausgerichtet werden (Bestandesschutz).<br />

IV. Verbot widersprüchlichen Verhaltens<br />

Die Verwaltungsbehörden dürfen sich gegenüber anderen Behörden oder Gemeinwesen und gegenüber Privaten nicht widersprüchlich<br />

verhalten. Sie dürfen insbesondere einen einmal in einer bestimmten Angelegenheit eingenommen Standpunkt nicht<br />

ohne sachlichen Grund wechseln.<br />

Auch die Privaten sind im Rechtsverkehr mit den staatlichen Behörden an den Grundsatz von Treu und Glauben gebunden<br />

(Art. 5 Abs. 3 BV). Widersprüchliches Verhalten der Privaten findet keinen Rechtsschutz.<br />

Beispiel Häfelin/Müller Randziffer Nr. 710: Eine Firma hat Tochtergesellschaften gegründet, und ihr Grundeigentum von<br />

der Muttergesellschaft auf die Töchtergesellschaften übertragen. Vom privatrechtlichen Standpunkt her, handelt es sich hier<br />

um eine Eigentumsübertragung. Betrachtet man diesen Vorgang von einem wirtschaftlichen Standpunkt, so bleibt das Vermögen<br />

eigentlich in der Hand der ein und derselben Firma. Die Steuerbehörde hat an den privatrechtlichen Standpunkt angeknüpft<br />

und es wurde eine Handänderungssteuer erhoben. Später hat eine Tochtergesellschaft ihr Grundstück verkauft und die<br />

Schwestergesellschaft hat dabei als Mäkler gewirkt. Dieser Verkauf ist vom privatwirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet<br />

erneut eine Handänderung und (nach der Praxis der Steuerbehörde) steuerpflichtig. Die Schwestergesellschaft machte geltend,<br />

dass sie für ihre Mäklerbemühungen Aufwendungen gehabt hat und wollte sie von der Steuer abziehen. Diesbezüglich stellte<br />

sich die Steuerbehörde auf den wirtschaftlichen Standpunkt ab und liess den Abzug nicht zu, weil es sich ja um die gleiche Firma<br />

handeln soll. Dieses Verhalten wurde als typisches widersprüchliches Verhalten taxiert und vom Bundesgericht als missbräuchlich<br />

erachtet, weil der Staat den gleichen Sachverhalt einmal unter wirtschaftlichen, einmal unter privatrechtlichen<br />

Standpunkten bewertete.<br />

V. Verbot des Rechtsmissbrauches<br />

Das Rechtsmissbrauchsverbot ist nach der Auffassung des Bundesgerichts Teil des Grundsatzes von Treu und Glauben.<br />

Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet<br />

wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will. Rechtsmissbräuchlich handeln können sowohl Private als auch staatliche<br />

Behörden. Das Verbot des Rechtsmissbrauches gilt auch im Rechtsverkehr zwischen verschiedenen Gemeinwesen<br />

<strong>Verwaltungsrecht</strong> I: Zusammenfassung Seite 26

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