Kapitel 1 - Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts
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Klimaschutz: die <strong>Herausforderung</strong> <strong>des</strong> <strong>21.</strong> <strong>Jahrhunderts</strong><br />
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für manche Länder die Verluste schneller eintreten<br />
als für andere, werden langfristig alle zu<br />
den Verlierern zählen, da die künftigen Generationen<br />
erhöhten Katastrophenrisiken ausgesetzt<br />
sein werden.<br />
Im 4. Jahrhundert v. Chr. schrieb Aristoteles,<br />
dass auf die Güter, über die die größte Zahl<br />
von Menschen gemeinsam verfügen, die<br />
geringste Sorgfalt verwendet wird. Er hätte<br />
damit die Erdatmosphäre und die fehlende<br />
Sorgfalt meinen können, die wir der Fähigkeit<br />
unseres Planeten zur Aufnahme von Kohlenstoff<br />
angedeihen lassen. Um die Voraussetzungen<br />
für Veränderungen zu schaffen, bedarf es<br />
einer neuen Denkweise über die menschliche<br />
Sonderbeitrag Unsere gemeinsame Zukunft und der Klimawandel<br />
Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen<br />
Generation zu befriedigen, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen<br />
zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.<br />
Darüber hinaus geht es aber auch um soziale Gerechtigkeit, Ausgewogenheit<br />
und die Achtung der Menschenrechte künftiger Generationen.<br />
Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit ich das Privileg hatte, den<br />
Vorsitz der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung zu führen.<br />
Der Bericht, der aus unserer Arbeit hervorging, hatte eine einfache<br />
Botschaft, die in seinem Titel, Unsere gemeinsame Zukunft, zum Ausdruck<br />
kam. Nach unserer Auffassung war die Menschheit im Begriff,<br />
die Grenzen der Nachhaltigkeit zu überschreiten und die ökologischen<br />
Aktiva der Welt in einer Weise zu dezimieren, die das Wohlergehen<br />
künftiger Generationen gefährden würde. Es war auch klar,<br />
dass die große Mehrheit der Weltbevölkerung an dieser übermäßigen<br />
Beanspruchung unserer begrenzten Ressourcen nur einen geringen<br />
Anteil hatte. Ungleiche Chancen und eine ungleiche Verteilung bildeten<br />
den Kern der von uns festgestellten Probleme.<br />
Heute ist es der Klimawandel, über den wir uns ausführliche<br />
Gedanken machen müssen. Aber gibt es einen schlagenderen<br />
Beweis dafür, was es bedeutet, auf nicht nachhaltige Weise zu leben?<br />
Der Bericht über die menschliche Entwicklung 2007/2008<br />
beschreibt ein „Kohlenstoffbudget“ für das <strong>21.</strong> Jahrhundert. Gestützt<br />
auf die genauesten Erkenntnisse der Klimawissenschaft, legt dieses<br />
Budget das Volumen der Treibhausgase fest, die ausgestoßen werden<br />
können, ohne gefährliche Klimaänderungen zu verursachen. Wenn wir<br />
auf unserer gegenwärtigen Emissionsbahn bleiben, wird das Kohlenstoffbudget<br />
für das <strong>21.</strong> Jahrhundert schon in den 2030er Jahren<br />
erschöpft sein. Durch unseren Energieverbrauch häufen wir hohe<br />
ökologische Schulden an, die die künftigen Generationen von uns<br />
erben – und zu deren Begleichung sie nicht in der Lage sein werden.<br />
Der Klimawandel stellt eine Bedrohung dar, die bisher ohne Beispiel<br />
ist. In unmittelbarer Zukunft bedroht er die ärmsten und schutzlosesten<br />
Menschen der Welt, die heute schon mit den Folgen der glo-<br />
BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2007/2008<br />
Interdependenz in einer Welt, die auf gefährliche<br />
Klimaänderungen mit entsprechenden<br />
Auswirkungen zusteuert.<br />
Verantwortung für das Klima<br />
in einer eng verflochtenen Welt<br />
Das Vorgehen gegen den Klimawandel stellt die<br />
Regierungen vor schwierige Entscheidungen.<br />
Es geht um komplexe Probleme, bei denen<br />
ethische Fragen, die Verteilungsgerechtigkeit<br />
zwischen Generationen und Ländern, wirtschaftliche<br />
und technologische Aspekte sowie<br />
persönliche Verhaltensweisen eine wichtige<br />
Rolle spielen. Politische Handlungskonzepte<br />
balen Erwärmung leben müssen. In unserer ohnehin tief gespaltenen<br />
Welt verschärft die globale Erwärmung die Disparitäten zwischen<br />
Reich und Arm, indem sie den Menschen die Möglichkeit verwehrt,<br />
ihr Leben zu verbessern. Für die Zukunft birgt der Klimawandel das<br />
Risiko einer ökologischen Katastrophe.<br />
Wir sind es den Armen der Welt und den künftigen Generationen<br />
schuldig, entschlossen und schnell zu handeln, um gefährliche Klimaänderungen<br />
aufzuhalten. <strong>Die</strong> gute Nachricht ist, dass es noch nicht<br />
zu spät ist. Noch haben wir eine Chance, aber machen wir uns nichts<br />
vor: <strong>Die</strong> Uhr tickt und die Zeit drängt.<br />
<strong>Die</strong> reichen Staaten müssen Führung zeigen und ihre historische<br />
Verantwortung anerkennen. Ihre Bürger verursachen die stärkste<br />
CO2-Belastung der Erdatmosphäre. Außerdem verfügen sie über die<br />
finanziellen und technischen Möglichkeiten für einschneidende und<br />
schnelle Verringerungen der CO2-Emissionen. Das alles heißt jedoch<br />
nicht, dass der Klimaschutz allein der reichen Welt überlassen bleibt.<br />
Vielmehr gehört es zu den dringendsten Prioritäten, den Entwicklungsländern<br />
durch internationale Zusammenarbeit und Technologietransfer<br />
den Übergang zu Energiesystemen mit geringem CO2-Aus stoß zu ermöglichen.<br />
Heute lehrt uns der Klimawandel auf harte Weise, was wir schon<br />
in Unsere gemeinsame Zukunft zu vermitteln versuchten. Nachhaltigkeit<br />
ist kein abstrakter Gedanke. Es geht darum, ein Gleichgewicht<br />
zwischen dem Planeten und seinen Bewohnern zu finden – ein<br />
Gleichgewicht, das die großen <strong>Herausforderung</strong>en der Armut in<br />
unserer Zeit angeht, während gleichzeitig die Interessen künftiger<br />
Generationen gewahrt werden.<br />
Gro Harlem Brundtland<br />
Vorsitzende der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung<br />
Ehemalige Ministerpräsidentin Norwegens