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Kapitel 1 - Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts

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<strong>Die</strong> durch den Stern-Bericht ausgelöste<br />

Debatte, die weiter anhält, ist auf verschiedenen<br />

Ebenen wichtig. Sie hat eine ganz unmittelbare<br />

Bedeutung, weil sie auf den Kern der zentralen<br />

Frage zielt, mit der die politischen Entscheidungsträger<br />

heute konfrontiert sind: Müssen<br />

wir heute dringend handeln, um den Klimawandel<br />

abzumildern? Sie spielt aber auch eine<br />

Rolle, weil sie Fragen über die Schnittstelle zwischen<br />

Wirtschaft und Ethik aufwirft – Fragen,<br />

die unser Denken über die Interdependenz der<br />

Menschheit angesichts der von gefährlichen<br />

Klimaänderungen ausgehenden Bedrohung<br />

beeinflussen.<br />

Diskontierung der Zukunft –<br />

ethische und ökonomische Aspekte<br />

<strong>Die</strong> Kontroverse richtet sich überwiegend auf<br />

das Konzept einer sozialen Diskontierung.<br />

Weil Klimaschutz heutige Kosten zur Erzielung<br />

eines künftigen Nutzens bedeutet, betrifft<br />

ein kritischer Aspekt der Analyse die Frage, wie<br />

ein künftiges Ergebnis im Verhältnis zu einem<br />

gegenwärtigen Ergebnis zu behandeln ist. Wie<br />

hoch sollten die künftigen Auswirkungen<br />

gegenüber den heutigen diskontiert werden?<br />

Das Instrument zur Beantwortung dieser Frage<br />

ist der Diskontierungssatz. Um seine Höhe zu<br />

bestimmen, muss dem künftigen Wohlergehen<br />

ein Wert zugewiesen werden, einfach <strong>des</strong>halb,<br />

weil es in der Zukunft liegt (die Rate der reinen<br />

Zeitpräferenz). Ferner muss eine Entscheidung<br />

über den sozialen Wert eines zusätzlich konsumierten<br />

Dollars getroffen werden. In diesem<br />

zweiten Element kommt der Gedanke <strong>des</strong> sinkenden<br />

Grenznutzens bei steigendem Einkommen<br />

zum Ausdruck. 87<br />

Der zwischen dem Stern-Bericht und seinen<br />

Kritikern bestehende Dissens über Kosten und<br />

Nutzen <strong>des</strong> Klimaschutzes – und über den richtigen<br />

Zeitpunkt der zu ergreifenden Maßnahmen<br />

– betrifft vor allem den Diskontierungssatz.<br />

Um zu verstehen, warum die unterschiedlichen<br />

Ansätze eine so wichtige Rolle spielen,<br />

sei folgen<strong>des</strong> Beispiel genannt. Bei einem Diskontierungssatz<br />

von fünf Prozent müssten heute<br />

neun Dollar ausgegeben werden, um einen<br />

im Jahr 2057 durch den Klimawandel verursachten<br />

Einkommensverlust von 100 Dollar zu<br />

vermeiden. Ohne Diskontierung müssten dafür<br />

heute bis zu 100 Dollar ausgegeben werden.<br />

Während also der Diskontierungssatz von Null<br />

ausgehend ansteigt, gehen die künftigen Schäden<br />

durch eine Klimaerwärmung in der Bewertung<br />

von heute zurück. Auf den für die Betrachtung<br />

von Auswirkungen <strong>des</strong> Klimawandels<br />

erforderlichen langen Zeitraum angewandt,<br />

kann bei entsprechend hohen Diskontierungssätzen<br />

die magische Wirkung <strong>des</strong> umgekehrten<br />

Zinseszinseffekts ein starkes Kosten-Nutzen-<br />

Argument für eine zeitliche Verzögerung von<br />

Klimaschutzmaßnahmen liefern.<br />

Aus der Perspektive der menschlichen Entwicklung<br />

sind wir der Auffassung, dass der<br />

Stern-Bericht Recht hat mit seiner zentralen<br />

Entscheidung, einen niedrigen Wert für die<br />

Rate der reinen Zeitpräferenz zu wählen – also<br />

für die Komponente <strong>des</strong> Diskontierungssatzes,<br />

die das Wohlergehen künftiger Generationen<br />

gegenüber dem unsrigen gewichtet, einfach weil<br />

sie in der Zukunft leben. 88 <strong>Die</strong> Diskontierung<br />

<strong>des</strong> Wohlergehens der zukünftigen Menschen<br />

nur aus dem Grund, dass sie in der Zukunft<br />

leben, ist nicht gerechtfertigt. 89 Wie wir über<br />

das Wohlergehen künftiger Generationen denken,<br />

ist ein ethisches Werturteil. Tatsächlich<br />

beschrieb der geistige Vater der Diskontierung<br />

eine positive Rate der reinen Zeitpräferenz als<br />

eine Praxis, die „ethisch nicht vertretbar ist und<br />

lediglich einer Schwäche der Vorstellungskraft<br />

entspringt.“ 90 Ebenso wie wir die Menschenrechte<br />

künftiger Generationen nicht diskontieren,<br />

weil sie den unseren gleichwertig sind, müssen<br />

wir auch eine Verantwortung für den<br />

Schutz der Erde akzeptieren, die den künftigen<br />

Generationen das gleiche ethische Gewicht<br />

zuerkennt wie der heutigen Generation. <strong>Die</strong><br />

Entscheidung für eine 2-Prozent-Rate der reinen<br />

Zeitpräferenz würde bedeuten, dass das ethische<br />

Gewicht einer 2043 geborenen Person halbiert<br />

würde. 91<br />

Es wäre ethisch unverantwortlich, heute<br />

notwendiges Handeln mit der Begründung zu<br />

verweigern, dass die Übernahme einer höheren<br />

Belastung durch Klimaschutzkosten von den<br />

geringer gewichteten künftigen Generationen<br />

erwartet werden könne. Es wäre auch unvereinbar<br />

mit der moralischen Verantwortung, die<br />

Wie wir über das<br />

Wohlergehen künftiger<br />

Generationen denken,<br />

ist ein ethisches Werturteil<br />

BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2007/2008 77<br />

1<br />

Klimaschutz: die <strong>Herausforderung</strong> <strong>des</strong> <strong>21.</strong> <strong>Jahrhunderts</strong>

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