Kapitel 1 - Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Kapitel 1 - Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Kapitel 1 - Die Herausforderung des 21. Jahrhunderts
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Fragen. Der Energieverbrauch und die damit<br />
zusammenhängenden Emissionen von Treibhausgasen<br />
sind keine abstrakten Konzepte. Sie<br />
sind Aspekte der menschlichen Interdependenz.<br />
Jeder, der in Europa das Licht anknipst<br />
oder in Amerika ein Klimagerät einschaltet, ist<br />
durch das globale Klimasystem mit Menschen<br />
verbunden, die zu den schutzlosesten der Welt<br />
gehören – mit Kleinbauern in Äthiopien, die<br />
mühsam ihren Lebensunterhalt verdienen, mit<br />
Slumbewohnern in Manila und mit Menschen,<br />
die im Gangesdelta leben. Er ist auch mit künftigen<br />
Generationen verbunden, nicht nur mit<br />
seinen eigenen Kindern und Kin<strong>des</strong>kindern,<br />
sondern ebenso mit denjenigen anderer Menschen<br />
auf der Welt. Angesichts der Belege für<br />
die Folgen gefährlicher Klimaänderungen in<br />
Form von Armut und künftigen Katastrophenrisiken<br />
käme die Missachtung der Verantwortung,<br />
die mit der ökologischen Interdependenz<br />
und ihren Auswirkungen auf den Klimawandel<br />
einhergeht, einer moralischen Verweigerung<br />
gleich.<br />
Der moralische Imperativ zur Bekämpfung<br />
<strong>des</strong> Klimawandels wurzelt vor allem in Ideen<br />
über Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und<br />
ethisches Handeln. In einer Welt, in der häufig<br />
weltanschauliche Überzeugungen eine Keil<br />
zwischen die Menschen treiben, sind dies Ideen,<br />
die die religiöse und kulturelle Spaltung überbrücken<br />
können. Sie bieten eine mögliche<br />
Grundlage für gemeinsame Aktionen von Führern<br />
religiöser Gruppen und anderen (Kasten 1.4).<br />
Das ökonomische Argument<br />
für rasches Handeln<br />
Ein ehrgeiziger Klimaschutz verlangt, dass wir<br />
heute in den Übergang zu einem geringeren<br />
CO 2-Ausstoß investieren. <strong>Die</strong> anfallenden Kosten<br />
werden vorwiegend von der heutigen Generation<br />
getragen werden müssen, und die höchste<br />
Rechnung wird durch die reiche Welt zu<br />
begleichen sein. Der daraus entstehende Nutzen<br />
wird sich auf viele Länder und einen längeren<br />
Zeitraum verteilen. Für die künftigen<br />
Generationen wird der Vorteil in der Verringerung<br />
der Risiken liegen, während die Ärmsten<br />
der heutigen Welt von verbesserten Chan-<br />
cen für die menschliche Entwicklung noch zu<br />
ihren Lebzeiten profitieren werden. Liefern die<br />
Kosten und der Nutzen <strong>des</strong> Klimaschutzes triftige<br />
Gründe für ein schnelles Handeln?<br />
<strong>Die</strong>se Frage griff der von der britischen<br />
Regierung in Auftrag gegebene Stern-Bericht<br />
über die ökonomischen Folgen <strong>des</strong> Klimawandels<br />
auf. <strong>Die</strong> Antwort <strong>des</strong> Berichts fiel deutlich<br />
aus. Anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse, die<br />
auf einem langfristigen ökonomischen Modellentwurf<br />
basiert, kommt er zu dem Schluss, dass<br />
die künftigen Kosten der globalen Erwärmung<br />
wahrscheinlich zwischen fünf und 20 Prozent<br />
<strong>des</strong> jährlichen Welt-BIP betragen werden. Solche<br />
künftigen Verluste könnten nach der Analyse<br />
<strong>des</strong> Berichts vermieden werden, indem durch<br />
Klimaschutzmaßnahmen zu relativ bescheidenen<br />
jährlichen Kosten von rund einem Prozent<br />
<strong>des</strong> BIP die Treibhausgase in der Atmosphäre<br />
auf 550 ppm CO 2-Äq. stabilisiert würden (an<br />
Stelle <strong>des</strong> im vorliegenden Bericht befürworteten<br />
ehrgeizigeren Ziels von 450 ppm). <strong>Die</strong><br />
Schlussfolgerung ist eine klare und eindeutige<br />
Begründung für vordringliche, sofortige und<br />
schnelle Verringerungen der Treibhausgasemissionen:<br />
Vorbeugen ist besser und billiger als<br />
Nichtstun.<br />
Manche Kritiker <strong>des</strong> Stern-Berichts kommen<br />
zu anderen Schlussfolgerungen. Sie vertreten<br />
die Auffassung, die Kosten-Nutzen-Analyse<br />
würde die Notwendigkeit schneller und tiefgreifender<br />
Klimaschutzmaßnahmen nicht belegen.<br />
<strong>Die</strong> Gegenargumente sind breit gefächert.<br />
Der Stern-Bericht und seine Kritiker gehen von<br />
einer ähnlichen Annahme aus, nämlich dass<br />
reale weltweite Schäden auf Grund <strong>des</strong> Klimawandels<br />
– ungeachtet ihres Ausmaßes – erst<br />
weit in der Zukunft eintreten würden. <strong>Die</strong><br />
Unterschiede liegen in der Bewertung dieser<br />
Schäden. <strong>Die</strong> Kritiker <strong>des</strong> Stern-Berichts argumentieren,<br />
dass das Wohlergehen der Menschen<br />
in der Zukunft mit einem höheren Satz<br />
diskontiert, also im Vergleich zu den in der<br />
Gegenwart entstehenden Kosten geringer gewichtet<br />
werden sollte, als dies im Stern-Bericht<br />
geschieht.<br />
Aus diesen entgegengesetzten Positionen<br />
heraus werden unterschiedliche politische Konzepte<br />
entwickelt. 85 Anders als der Stern-Bericht<br />
Jeder, der in Europa das<br />
Licht anknipst oder in<br />
Amerika ein Klimagerät<br />
einschaltet, ist durch das<br />
globale Klimasystem mit<br />
Menschen verbunden, die<br />
zu den schutzlosesten<br />
der Welt gehören<br />
BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG 2007/2008 75<br />
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Klimaschutz: die <strong>Herausforderung</strong> <strong>des</strong> <strong>21.</strong> <strong>Jahrhunderts</strong>