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10.3 Phraseologie in älteren Texten<br />

Texte der Aufklärung, des Sturm und Drang, der Klassik gehören immer noch<br />

zum Lesekanon der Gymnasien, und sie werden im Deutschunterricht vielfach so<br />

behandelt, als wären sie Texlc unserer Zeit, die man - von kleineren Ausnahmen<br />

abgesehen - mit unserem heutigen Sprachwissen mühelos verstehen könnte. An der<br />

Phraseologie - wie an der Lexik im allgemeinen - läßt sich jedoch ablesen, daß uns<br />

diese Sprache schon in mancher Hinsicht fremd geworden ist, daß sie in der Schule<br />

also einer bewußten didaktischen Vermittlung bedürfte. Als Werke, denen ich<br />

Beispiele entnehme, wähle ich einige bekannte literarische Texte (je einen Text des<br />

jungen und des älteren Goethe: „Die Leiden des jungen Werther" [1774J und „Die<br />

Wahlverwandtschaften" [1809], „Michael Kohlhaas" von Heinrich von Kleist [1810]<br />

und „Anton Reiser" [1785] von Karl Philipp Moritz, sodann das sozialgeschichtlich<br />

äußerst aufschlußreiche Buch des Adolf Freiherr von Knigge „Über den Umgang mit<br />

Menschen" [1788, 3. Aufl. 1790J. dessen Autor heute fälschlicherweise nur noch mit<br />

Ratgeberbüchern für gutes Benehmen assoziiert wjrd. schließlich den<br />

autobiographischen Text „Der arme Mann im Tockenburg" (1789) des literarischen<br />

Außenseiters Ulrich Biäkerund am Rande noch Zeitungstexte vom Ende des 18.<br />

Jahrhunderts).<br />

Die Tatsache, daß wir für ältere Spnichstufen auf mehr oder weniger zufällige<br />

Textbclege und auf - im Bereich der Phraseologie oft sehr unzuverlässige -<br />

Wörterbucheinträge angewiesen sind, macht eine Beurteilung des Phraseologisierungsgrades<br />

eines bestimmten Ausdrucks im Einzelfall schwierig, gelegentlich<br />

sogar unmöglich. Dies trifft besonders im Bereich der Morphologie und Syntax zu:<br />

Wir können aus dem Vorkommen eines Ausdruel|s-im Singular z. B. nicht schließen,<br />

daß der Ausdruck im Plural damals nicht möglich war. daß also eine Numerus-<br />

Fixierung vorhanden war. Nur der umgekehrte Schluß ist möglich: Wenn Belege in<br />

beiden Numeri vorkommen - und das ist eine Frage der zufälligen Belegsituation -,<br />

kann man annehmen, daß (noch) keine Fixierung auf eine Form vorhanden war.<br />

Weniger problemaliseh'ist es in der Regel, einen Phraseologismus als solchen zu<br />

identifizieren, der heute nicht mehr existiert. Wenn der Ausdruck aus Komponenten<br />

besteht, die ajs Wörter noch existieren und noch verständlich sind und die damals<br />

eine der heutigen ähnliche Bedeutung halten, wenn die Gesamtbedcutung sich aber<br />

offensichtlich nicht aus den Bedeutungen der Komponenten erschließen läßt, dann<br />

liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Phraseologismus vor.<br />

Ein gutes Indiz für die Festigkeit eines Phraseologismus wären<br />

Modifikationen, die einen bestimmten stilistischen Effekt haben (vgl.: 7.2.2.). Doch<br />

sind Modifikationen schwer als solche erkennbar (und schwer; von Varianten<br />

abgrenzbar), da man eine gesicherte Nennform als Basis zur Verfügung haben müßte,<br />

was aber in der Regel nicht der Fall ist. Das folgende Beispiel zeigt einen seltenen<br />

Glücksfall, bei dem mit großer Wahrscheinlichkeil eine Modifikation erkennbar ist:<br />

Solch ein Zuchtmcistcr mußt es seyn, der alle meine Schwachheiten mit den<br />

schwärzesten Farben schilderte, so wie ich hingegen geneigt war. dieselben, wo<br />

nicht für kreidenweiß, doch für grau anzusehn. (Bräker. 280 f.)<br />

Es ist anzunehmen, das etwas mit schwarzen Farben schildern die Basis ist. bei<br />

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