Kontakt 36 - Dominikaner
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Johannes Witte OP<br />
Bin ich schön?<br />
Eine Weihnachtspredigt<br />
Im Altarraum steht ein mehr als<br />
dürftiger Weihnachtsbaum.<br />
Da ist Weihnachten doch eigentlich<br />
schon gelaufen! Wer mit so einem<br />
Baum nach Hause kommt, muss mit<br />
Ärger rechnen. Wir wünschen uns<br />
schöne Weihnachten, aber so eine<br />
Krücke könnte uns das ganze Fest<br />
verderben.<br />
Vor einigen Tagen war in den Zeitungen<br />
von einer Familie in Kalifornien<br />
zu lesen, die so etwas auf keinen<br />
Fall wollte. Im Gegenteil: Besonders<br />
schön sollte der Weihnachtsbaum<br />
sein. Deshalb machte man sich auf<br />
den Weg in die verschneiten Berge,<br />
um ihn zu finden – den perfekten<br />
Baum. Dabei allerdings verirrte sich<br />
die Familie. Drei Tage und Nächte<br />
Predigt<br />
mussten die Eltern mit ihren Kindern<br />
in der Kälte ausharren, bevor<br />
Rettungstrupps sie fanden.<br />
Eine nette Geschichte, die – Gott sei<br />
Dank – gut ausgegangen ist. Für mich<br />
ist sie aber noch mehr, denn dieses<br />
Ereignis hat für mich symbolische<br />
Bedeutung: Wir können uns nicht<br />
nur auf der Suche nach dem perfekten<br />
Weihnachtsbaum verirren. Wir können<br />
uns auch verfehlen, indem wir<br />
etwas suchen, was wir für wichtig<br />
halten, was aber in Wirklichkeit nur<br />
eine Illusion von Glück ist.<br />
Wie das geht, hat vor ein paar Jahren<br />
ein Film von Doris Dörrie gezeigt.<br />
Auch sie erzählt von Menschen, die<br />
Perfektion suchen, sich dabei aber<br />
im eigenen Leben verheddern. Der<br />
Film trägt den programmatischen Titel:<br />
„Bin ich schön?“. In einer Szene<br />
wird dort eine Hochzeitsgesellschaft<br />
mit den Worten beschrieben: „Alle<br />
sehen gut aus – und glücklich – und<br />
alle haben gute Zähne“. Die perfekten<br />
Menschen sind dort versammelt, so<br />
scheint es, eine Gesellschaft, die ein<br />
Ideal unserer Zeit verkörpert. Denn<br />
die Frage „Bin ich schön?“ ist eine<br />
der wesentlichen Lebensfragen geworden.<br />
Soziologen sagen uns, dass<br />
das Aussehen inzwischen zu einem<br />
zentralen Faktor in unserer westlichen<br />
Welt geworden ist. Schön und<br />
attraktiv zu sein steht auf der Werteskala<br />
ganz weit oben. Deshalb wird<br />
einiges dafür getan.<br />
Im Film aber wird deutlich, dass<br />
Glück auf diesem Weg nur bedingt zu<br />
finden ist: Denn unter der Oberfläche<br />
wird die ungeheure Anstrengung<br />
sichtbar. Menschen werden gezeigt,<br />
deren Beziehungen scheitern, die<br />
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