Kontakt 36 - Dominikaner
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sorglichen Erfahrungen in Klinik zu<br />
reflektieren und Handlungsalternativen<br />
zu entwickeln, sondern auch<br />
sich unserer eignen Gefühle während<br />
unserer Arbeit bewusster zu werden.<br />
Folglich war es nicht allein wichtig,<br />
was das Gespräch einem Patienten<br />
gebracht hat, sondern auch darüber<br />
nachzudenken, was ich persönlich<br />
aus dieser Begegnung gelernt habe.<br />
Letztlich wurde von jedem Gruppenmitglied<br />
erwartet, seine Fähigkeit<br />
zur pastoralen Arbeit in der Klinik<br />
von dieser Gruppe in Frage stellen<br />
zu lassen, sich seiner persönlichen<br />
Stärken und Schwächen bewusster<br />
zu werden, in einen theologischen<br />
Reflexionsprozess einzusteigen und<br />
daraus das je eigene Seelsorgerprofil<br />
zu entwickeln. Wenige Wochen nach<br />
meiner Priesterweihe habe ich mich<br />
gefragt, ob ich wohl mein Gesicht<br />
verlieren könnte oder aber die anderen<br />
mich für eine pastorale Arbeit<br />
in der Klinikseelsorge für ungeeignet<br />
halten würden.<br />
Klinikseelsorgekurse – Clinical Pastoral<br />
Education (kurz: CPE) – gibt<br />
es in den USA seit Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts. CPE konfrontierte<br />
die Studierenden mit einigen theologischen<br />
Herausforderungen im Praxisfeld,<br />
d. h. von Angesicht zu Angesicht<br />
durch die seelsorgliche Arbeit<br />
am Menschen. Der Praxiseinsatz wird<br />
begleitet durch theoretische Impulse,<br />
Supervision und gezielte Analyse von<br />
Gesprächsprotokollen. Heute ist<br />
CPE fester Bestandteil der meisten<br />
protestantischen und katholischen<br />
Seminare auf dem Weg zur Ordination.<br />
Die deutschen Ausbildunsgkurse<br />
in der Klinikseelsorge (KSA-Kurse)<br />
haben hier ihre Wurzeln.<br />
Beitrag zu Heilung<br />
Für viele Menschen stellen sich gerade<br />
während eines Klinikaufenthaltes<br />
erneut Fragen hinsichtlich des Lebenssinns<br />
und des Glaubens. Spiritualität<br />
kann zur positiven Ressource in<br />
der aktiven Krankheitsbewältigung<br />
oder aber zu einem zusätzlichen<br />
Stressfaktor werden. Bleiben Fragen<br />
nach dem „Warum“ unbearbeitet, ergeben<br />
sich zusätzliche Belastungen,<br />
die den Genesungsprozess nachweislich<br />
beeinträchtigen können. Die<br />
pastorale Begleitung von Patienten,<br />
Angehörigen und Mitarbeitern zählt<br />
deshalb seit Jahrzehnten zum selbstverständlichen<br />
„Serviceangebot“<br />
amerikanischer Kliniken. Träger der<br />
Klinikseelsorge sind also nicht die<br />
Kirchen, wie das in Deutschland der<br />
Fall ist.<br />
Neben den theoretischen Einheiten<br />
am Vormittag waren wir sechs KursteilnehmerInnen<br />
nachmittags auf den<br />
Stationen eingesetzt. Mein Praxisfeld<br />
waren der „Emergency Room“ und<br />
die „Onkologie“.<br />
Neue Rolle<br />
Auf der Onkologie kamen mir in<br />
vielen Situationen meine pflegerische<br />
Berufserfahrung und mein medizinisches<br />
Hintergrundwissen zugute.<br />
Insgesamt war es für mich trotzdem<br />
eine völlig neue Herausforderung<br />
oder besser: ein Rollenwechsel. Es<br />
macht einen großen Unterschied, ob<br />
ich das Patientenzimmer als Pflegekraft<br />
betrete und am Patienten etwas<br />
„zu tun“ habe, oder ob ich den Kranken<br />
zu einem seelsorglichen Gespräch<br />
bzw. zur Sakramentenspendung aufsuche.<br />
Die erfolgreiche seelsorgliche<br />
USA<br />
Begleitung eines Patienten lebt nicht<br />
von meinem medizinischen oder<br />
pflegerischen Fachwissen. Sie lebt<br />
von meiner Ausstrahlung, meinem<br />
Einfühlungsvermögen und von meiner<br />
Fähigkeit, die richtigen Fragen<br />
oder analytischen Feststellungen zu<br />
treffen. Ebenso lebt die Sakramentenspendung<br />
von meiner Sicherheit<br />
im Ritus. Von Seiten des Patienten ist<br />
die Bereitschaft sich auf mich und das<br />
Gespräch einzulassen essentiell. In<br />
der Begegnung können beide Seiten<br />
voneinander lernen.<br />
Auf der Kinderintensivstation<br />
Was heißt das bisher Gesagte aber<br />
nun konkret? Wie gestaltete sich meine<br />
seelsorgliche Arbeit in der Klinik?<br />
Eine Erfahrung: Es war im Rahmen<br />
einer dieser 24-Stunden-Bereitschaftsdienste.<br />
Ich war allein als Seelsorger<br />
für das 500-Betten-Krankenhaus<br />
verantwortlich. Am Nachmittag<br />
und Abend hatte ich Gespräche mit<br />
Patienten, erledigte einige Telefonate<br />
und sprach mit einer Familie, deren<br />
Tochter verstorben war. Die Nacht<br />
war ruhig. Trotz der Geräuschkulisse<br />
des Krankenhauses konnte ich einigermaßen<br />
ruhig schlafen.<br />
Am nächsten Morgen erhielt ich einen<br />
Anruf von der der Kinderintensivstation.<br />
Ein Seelsorger wurde dort<br />
dringend benötigt. Ein Anruf von<br />
der Kinderintensivstation bedeutet<br />
in der Regel kein gutes Omen. So war<br />
es auch in diesem Fall. Eine Mutter<br />
hatte vor wenigen Tagen Zwillinge<br />
geboren. Aufgrund der Tatsache, dass<br />
sie erst in der 23. Schwangerschaftswoche<br />
war, hatten die beiden Babys<br />
im Grunde keine Überlebenschance.<br />
Wer vom Fach ist weiß, dass für<br />
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