Kontakt 36 - Dominikaner
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Mainz<br />
Wider die Verachtung<br />
In einer Zeit, in der das Strafbedürfnis<br />
vieler Menschen in unserer<br />
Gesellschaft auffällig zunimmt, hat<br />
diese Hervorkehrung eine hohe Bedeutung.<br />
Durch die Menschheitsgeschichte<br />
hindurch gibt es stets eine<br />
gewisse Attraktivität, jemanden<br />
zu finden, der unter mir steht, auf<br />
den ich herabschauen kann. Nach<br />
meinem Eindruck hat es parallel zur<br />
wirtschaftlich schwierigeren Situation<br />
vieler Menschen in Deutschland zugenommen,<br />
auf Gefängnisinsassen eher<br />
verächtlich zu schauen. Bisweilen<br />
werden Menschen sogar „vermonstert“<br />
und sollen möglichst für immer<br />
weggeschlossen werden.<br />
Die Sicherheit der Gesellschaft zu<br />
schützen, ist wichtig – zweifelsohne.<br />
Wenn sie aber zum einzigen Ziel des<br />
Strafvollzugs wird, haben wir alle ein<br />
großes Problem. Deshalb fördere und<br />
schätze ich es und setze mich selbst<br />
dafür ein, dass die Persönlichkeitsentwicklung,<br />
therapeutische Maßnahmen,<br />
die Kultur und die Bildung<br />
– und nicht zuletzt das geistliche Leben<br />
der Gefangenen im Vordergrund<br />
stehen.<br />
Für die Entwicklung<br />
Ich verharmlose damit weder das<br />
Grauen vor Sexualstraftaten, noch<br />
das Entsetzen über andere schreckliche<br />
Verbrechen. Verharmlosung,<br />
Naivität und Mitleid sind überhaupt<br />
nicht angebracht. Aber Schwarz-<br />
Weiß-Malerei auf dem Niveau der<br />
Boulevardpresse ist genauso wenig<br />
hilfreich. Denn auch Menschen, die<br />
so etwas angerichtet haben und einen<br />
furchtbaren Fehler begangen<br />
<strong>36</strong><br />
haben, sind und bleiben Menschen!<br />
Verwahrlosung finden wir auch auf<br />
den Straßen unserer Städte; dafür<br />
brauchen wir nicht ins Gefängnis zu<br />
gehen. Schuld laden wir auch täglich<br />
auf uns; sie ist allerdings in der Regel<br />
nicht strafrechtlich relevant und wird<br />
auch nicht so schnell öffentlich.<br />
Menschen im Gefängnis, deren<br />
Schuld eben öffentlich geworden ist,<br />
brauchen aber eine Auseinandersetzung<br />
mit ihr – und zwar im Gesamtzusammenhang<br />
ihres Lebens – und sie<br />
wollen und sollen irgendwann einmal<br />
Das Logo des Kirchenchores<br />
wieder in unserer Gesellschaft leben.<br />
Deshalb ist Schwarz-Weiß-Malerei<br />
eine fatale Konsequenz. Der „Tag<br />
der Gefangenen“ bringt da ganz neue<br />
Farben ins Geschehen – und erinnert<br />
daran, dass Menschen hinter Gittern<br />
tatsächlich Gesichter haben.<br />
Gemeinsam feiern<br />
Am 6. Juli 2008 kam der Seelsorgeamtsleiter<br />
aus Mainz, Domdekan<br />
Heinz Heckwolf, in die Justizvollzugsanstalt<br />
(JVA) Butzbach, um<br />
dort mit den Gefangenen, den etwa<br />
zwanzig Gemeindemitgliedern aus<br />
der Pfarrei und mit mir die hl. Messe<br />
zu feiern und ihnen zu begegnen.<br />
Der Kirchenraum war dicht gefüllt,<br />
und auch der Anstaltsleiter ließ es<br />
sich nicht nehmen zu kommen. Die<br />
Gefangenen des Kirchenchores waren<br />
hoch motiviert und hatten sich<br />
schon früh eingesungen.<br />
„Die Bildung ist nicht das Hindernis<br />
zum Glauben – ganz im Gegenteil“,<br />
so legte Domdekan Heckwolf das<br />
Sonntagsevangelium Mt 11,25-30<br />
aus. „Vielmehr verhindert die Einbildung<br />
das Leben und den <strong>Kontakt</strong> zu<br />
Gott. Wer schon alles weiß und kann<br />
– über das Leben und über Gott –<br />
der kommt im Evangelium nicht gut<br />
weg.“ Prägnant und nüchtern sprach<br />
der Domdekan den unterschiedlichen<br />
Gläubigen Mut und Trost für ihr<br />
Leben zu.<br />
Der Kirchenchor der Seelsorge freute<br />
sich über die große Resonanz bei den<br />
Gläubigen von drinnen und draußen.<br />
Zwölf Gefangene treffen sich jeden<br />
Mittwochabend zur Probe, singen<br />
zumeist „Neue geistliche Lieder“<br />
und hatten für dieses Ereignis besonders<br />
intensiv geübt. Als Höhepunkt<br />
brachten die Gefangenen „Amazing<br />
Grace“ zu Gehör – in einer Bearbeitung<br />
des Kirchenmusikers Marian<br />
Wolf.<br />
Grenzen überwinden<br />
So zu feiern und sich zu begegnen –<br />
das überwindet Mauern und Grenzen<br />
– wenn auch nur für einige Momente.<br />
Es überwindet Schwarz-Weiß-Malerei<br />
und Stammtischparolen und<br />
bringt tatsächlich Farbe ins Leben<br />
aller Beteiligten. Es nimmt Menschen<br />
ernst in ihrem Scheitern und in ihrer<br />
Schuld und eröffnet Perspektiven zur