15. MainzerMedienDisput vom 25. November 2010.pdf - Talk-Republik
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Doch wenn ich das so sage, zögere ich. Ist Recherchieren wirklich selbstverständlich?<br />
Und was verstehen wir unter Recherchieren?<br />
Der Begriff ist der französischen Sprache entnommen. Ich habe zum französischdeutschen<br />
Dictionnaire gegriffen und recherchiert. Recherchieren bedeutet danach:<br />
wiedersuchen, aufsuchen, forschen nach etwas, streben nach etwas, trachten nach<br />
etwas, aber auch den Umgang suchen oder entgegenkommen. Recherchieren ist<br />
der Schlüsselbegriff des Journalismus.<br />
Doch sind wir tatsächlich beseelt in unserer Arbeit von einem so umfassenden<br />
Verständnis des Recherchierens? Was tun wir, wenn wir recherchieren? Wir recherchieren<br />
die neuesten Sätze von Angela Merkel, die neuesten Zahlen des griechischen<br />
Debakels, die neuesten Trends der Dax-Unternehmen. Wir recherchieren von Minute<br />
zu Minute. Wir hängen am Tropf der Information, die wir anreichern mit dem, was<br />
wir bei Wikipedia finden und über Google zugeliefert bekommen. Die Schnelligkeit<br />
der Recherche ist unser Berufsstolz.<br />
Wir fühlen den Puls der Zeit. Ja wir sind der Puls der Zeit.<br />
Jeden Abend, wenn ich koche, richte ich es so ein, dass ich dabei die Nachrichten<br />
von Deutschlandradio höre, neben mir liegt mein Blackberry, der mir mit Blinken<br />
signalisiert, dass es etwas Neues gibt, im Salon läuft n-tv, um 19 Uhr im ZDF heute.<br />
Trotz meiner Abhängigkeit <strong>vom</strong> Stoff, der unser Journalistenleben bestimmt, habe<br />
ich lichte Momente. Und da befallen mich dann doch Zweifel: Werden wir dem Wert<br />
„recherchieren“, im Sinne von wiedersuchen und nachforschen, wirklich gerecht?<br />
Oder verengen wir den Begriff allzu sehr und manchmal auf fatale Weise auf das<br />
Nächstliegende, auf die Verfolgung der minütlichen, stündlichen, täglichen Ereignisse?<br />
Die elektronischen, vor allen die digitalen Medien zwingen uns die Geschwindigkeit<br />
auf. Wer nicht mithält, den bestraft der Markt. Das permanente Jetzt, Jetzt, Jetzt<br />
unterwirft unseren Beruf einer geradezu darwinistischen Auslese: Der Schnellere<br />
ist der Stärkere, der Stärkere, weil Schnellere überlebt. Längst sind wir kampfgestählt<br />
in diesem Verdrängungsprozess.<br />
Doch was muten wir unseren Lesern zu?<br />
Ja, betrachten wir uns einmal von außen. Für die Bürgerinnen und Bürger, für die<br />
Gesellschaft, für die Politik, für die Wirtschaft bestimmen wir die Zeit. Denn wir<br />
bestimmen den Takt, in dem die Ereignisse ablaufen. Wir sind es, die den Ereignissen<br />
Zeit geben, eine Zeit einräumen; in der Aviatik nennt man das: einen Slot zuteilen.<br />
Eine Minute, eine Stunde, einen Tag, eine Woche. Das auf die Menschen Einstür-<br />
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