15. MainzerMedienDisput vom 25. November 2010.pdf - Talk-Republik
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Wie sollten die Medien reagieren?<br />
Das große Problem ist, das Zeitungen und Fernsehen das Gleiche falsch machen:<br />
Sie befördern die Leute, die sie kontrollieren sollten. Wir könnten 70 Prozent der<br />
Redakteure in Amerika – in Deutschland ist es wahrscheinlich besser – feuern. Die<br />
Leute, denen die Druckmaschinen gehören, befördern nicht die Leute, die sie<br />
befördern sollten. Oft gibt es in den oberen Etagen nette Mitarbeiter, aber das sind<br />
nicht die richtigen. Sie sind nicht aggressiv. In meiner Karriere ist mir oft passiert,<br />
dass Kollegen nach einer Weile müde von mir wurden, weil ich immer sagte, dies<br />
ist nicht gut und das hier auch nicht. Weil ich oft negativ bin und die dunkle Seite<br />
suche, werden sie davon müde. Nur sehr selten findet man einen starken investigativen<br />
Mann, der Chefredakteur oder leitender Redakteur (Editor) wird. Die London<br />
Times hatte einmal eine Abteilung, „The Inside Team“, das ist 20 bis 30 Jahre her.<br />
Ende 60er hatten sie dieses spezielle Teams aufgestellt. Sechs Reporter haben<br />
ausschließlich investigativ gearbeitet. Sie schrieben gute Texte zum Beispiel über<br />
den Krieg in Vietnam. Und sie hatten einen fantastischen leitenden Redakteur. Aber<br />
heute will niemand mehr so viel Einfluss und Macht aus der Hand geben.<br />
Was ist die politische Essenz Ihres journalistischen Lebens<br />
Vertraue niemals den Leuten im öffentlichen Leben, das ist nicht unser Job. Wir sind<br />
keine Cheerleader für unsere Regierungen. Nach 9/11 waren Reporter in den USA<br />
zu sehr mit Applaudieren beschäftigt, anstatt skeptisch gegenüber George Bush<br />
und seinen Behauptungen zu Bomben im Irak zu sein. Amerika zuerst, hieß es bei<br />
ihnen, wir wollen Rache – da haben wir unsere Seele verloren. Die Bush-Regierung<br />
hat im großen Stil moralisch versagt.<br />
Was treibt Sie an?<br />
Ich mag Geschichten. Ich hasse Lügen und ich liebe Geschichten. Ich liebe es,<br />
Geschichte zu erzählen, die noch keiner kennt.<br />
Herzlichen Dank für das Gespräch.<br />
Übersetzung: Lars-Marten Nagel<br />
Seymour Myron Hersh (*8. April 1937 in Chicago), Spitzname Sy, ist ein US-amerikanischer Investigativjournalist<br />
jüdischer Herkunft und bekannter Muckraker.<br />
Seymour Hersh wurde 1969 weltbekannt, als er während des Vietnamkriegs das Massaker von My Lai<br />
aufdeckte. 2004 sorgte er erneut für Aufsehen, als er maßgeblich den Folter-Skandal im irakischen<br />
Abu-Ghuraib-Gefängnis bekannt machte.<br />
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