15. MainzerMedienDisput vom 25. November 2010.pdf - Talk-Republik
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Skandale und keine Wirtschaftsgipfel, keine Kriege und keine Friedensschlüsse.<br />
Denn nur, was wir erscheinen lassen, wirft seinen Schein – er ist das Licht der Welt.<br />
Göttern kann man vieles nachsagen. Dem Blitzlenker Zeus sagten die alten Griechen<br />
nach, schneller als die Blitze, die er werfe, sei er mit seinen Seitensprüngen unterwegs.<br />
Odin wurde unterstellt, dass er die Welt aus einem Leichnam formte, und<br />
auch der Gott Abrahams und Moses’ stand im Ruf, grausam zu sein. Ero tomanie,<br />
Bigamie, Jähzorn, Rachsucht, Blutrunst, Mordlust, Habgier – es gibt fast keine üble<br />
Nachrede, die die Menschen nicht für ihre Götter fanden, und dennoch glaubten<br />
sie an sie und beteten sie an. Nur eine üble Nachrede war noch nie zu hören – dass<br />
ein Gott irre. Aus gutem Grund. Denn ein irrender Gott ist ein schwarzer Schimmel,<br />
ein dreieckiges Viereck, eine blühende Wüste, also ein Widerspruch in sich. Ein<br />
Gott darf alles, irren darf er nicht. Mag er auch morden, huren oder saufen, das<br />
sehen ihm die Menschen nach und sehen dann in ihm einen mordenden, hurenden<br />
oder saufenden Gott, aber ein Gott, der einmal irrt, ist nicht länger Gott, sondern<br />
ein sehr menschlicher Simpel. Irren ist menschlich, göttlich ist es nicht.<br />
Journalisten sind Götter. Seit 360 Jahren lassen sie Welten auf- und wieder untergehen,<br />
ein einmaliges, nie endendes, alle menschlichen Schöpfungen überragendes<br />
Schöpfungswerk – ohne einen einzigen Irrtum.<br />
Meine Damen und Herren, wir treffen uns hier heute nicht, um uns selber zuzujubeln.<br />
Götter beten sich nicht gegenseitig an, demütig, klaglos und schweigend stellen sie<br />
sich in den Dienst ihres unendlichen Werks. Es ist also gar kein Eigenlob, sondern<br />
eine lapidare Feststellung: Journalisten arbeiten seit 360 Jahren komplett irrtumsfrei,<br />
eine kaum glaubliche Leistung, wenn man weiß, wie voll, wie übervoll doch die<br />
Welt von Irrtümern ist, über die sie täglich schreiben und reden und über die sie<br />
unermüdlich klagen. Irrtümer, wohin man schaut: Der Wirtschaftsminister, der mit<br />
keiner Bankenkrise rechnet, der Fußball-Bundesligatrainer, der törichterweise von<br />
einem Sieg seiner Mannschaft im nächsten Spiel ausgeht, der Sektenführer, der<br />
weiß, dass seine Welt in ein paar Tagen untergeht, der Firmenchef, der das nicht<br />
weiß entgegen allen Warnungen, die Irrtümer der Fachleute, der Experten, der Gutachter,<br />
der Staatschefs, der Wirtschaftsführer, der Hinter- und der Vorderbänkler –<br />
niemand zählt sie, niemand kann sie zählen, aber aufschreiben lassen sie sich und<br />
kritisieren lassen sie sich auch.<br />
Setzte sich ein Doktorand in den Kopf, eine Promotion über „Den Irrtum in den<br />
Medien“ zu schreiben, würde er zwei interessante Feststellungen machen. Erstens<br />
würde ihm alsbald klar, dass die Darstellung von und die Kritik an Irrtümern zu den<br />
Lieblingstätigkeiten aller Medien zählt, von der Apothekenumschau, die über den<br />
Irrtum der Großmütter klagt, gegen Nasenkribbeln helfe Naseputzen besser als ein<br />
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