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15. MainzerMedienDisput vom 25. November 2010.pdf - Talk-Republik

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Es gibt inzwischen so viele Coaching-Formate, in denen Alltags-, Finanz-, Ehe-,<br />

Berufsprobleme behandelt werden und jeder kann sich dort bewerben, um therapiert<br />

zu werden. Ist das Fernsehen heute zu unserem „Freund und Helfer“ geworden?<br />

Letztlich wird hier ein leicht absurdes Rechtfertigungsmuster der Produzenten und<br />

Formatmacher offenbar, das besagt, man wolle eigentlich therapieren und helfen. Es<br />

sind Voyeure zweiter Ordnung, die hier am Werk sind: Sie liefern zum Sozialporno<br />

auch gleich die scheinbar aufklärerische Unterzeile und bemänteln die aggressive<br />

Dramatisierung privater Schicksale durch ein selbstbewusst geheucheltes Interesse<br />

an öffentlich praktizierter Lebenshilfe.<br />

Die ersten Formen des Reality-Fernsehen waren ja verglichen mit heute noch<br />

harmlos. Die erste Big Brother-Staffel wirkte fast wie ein Experiment, bei dem das<br />

Zusammenlebenden der Container-Insassen gezeigt wurde, auch mit der Gefahr,<br />

nichts als Langeweile darbieten zu können. Warum zieht das heute nicht mehr?<br />

Der Inszenierungsdruck nimmt offenkundig zu. Es gilt, möglichst gezielt Konflikte<br />

zu kreieren, die Beteiligten in leichte Kampfspiele zu verstricken, die Stimmung<br />

anzuheizen, um formatkompatible Schlüsselreize zu produzieren: den Zusammenbruch,<br />

die plötzliche Offenbarung eines Schicksalsschlages, den Streit, die Schlägerei.<br />

Zu diesem Zweck braucht man Strategien emotionaler Überhitzung, die<br />

Ungeübte irgendwann einbrechen lassen. Das einfache Leben hat da keine Chance.<br />

Normalität ist das Kontrastprogramm zur Realität im Reality-TV.<br />

Inzwischen hat sich ein neuer Trend erfolgreich etabliert: Scripted Reality Formate.<br />

Fiktive Storys, die von Laiendarstellern nachgespielt, jedoch im Stil der Dokumentation<br />

präsentiert werden, um den Anschein von Realität zu erwecken. Warum<br />

greift man weniger auf echte Fälle zurück?<br />

Die Macher von Castingshows berichten, dass sogenannte „Protas“ – Protagonisten<br />

echter Fälle – zunehmend schwer zu finden sind. Sie meinen überdies, Deutschland<br />

sei durchgecastet. Das mag sein. Scripted Reality ist allerdings noch aus<br />

einem anderen Grund erfolgreich. Die Darsteller solcher Doku-Shows agieren derart<br />

laienhaft, dass ihr Dilettantismus kurioser Weise den Eindruck der Echtheit erzeugt.<br />

Mit anderen Worten: Sie spielen so schlecht, dass es extrem schwer fällt, sie für<br />

„Schauspieler“ zu halten. Ihre tapsige Laienhaftigkeit dient gleichsam der Wahrheitsbeteuerung.<br />

Kann der Zuschauer heute noch unterscheiden, was echt und was ein Fake ist?<br />

Es ist, so meine ich, geradezu ein Merkmal der Castinggesellschaft, dass sie von<br />

einem permanenten Inszenierungsverdacht regiert wird. Man kann sich nie sicher<br />

sein, ob man es nicht gerade mit einer besonders raffinierten, einer besonders<br />

perfiden Form der Inszenierung und des Realitätsdopings zu tun hat. Gleichzeitig<br />

wächst die Sehnsucht nach Gewissheit und echter Information. Glaubwürdigkeit<br />

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