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15. MainzerMedienDisput vom 25. November 2010.pdf - Talk-Republik

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eine Show! Die Belohnung besteht dann darin, das eigene Leben zu verlassen,<br />

noch einmal aufzubrechen. Aschenputtel im Medienzeitalter.<br />

Warum tun sich Teilnehmer von Casting – und anderen Reality-Shows teilweise<br />

diese Demütigung an, sich von einer Fernsehjury vor den Augen der Öffentlichkeit<br />

abkanzeln zu lassen oder sich unwürdigen Mutproben zu stellen?<br />

Es geht um Aufmerksamkeit und – im Unterschied zu Andy Warhol – um 15 Sekunden<br />

Ruhm, einen bescheidenen Augenblick der großen öffentlichen Präsenz. Fakt ist:<br />

Unsere Vorstellung von Prominenz hat sich verändert – der Star von heute taugt nicht<br />

mehr als ewig unerreichbarer Mythenproduzent, sondern agiert als möglicher Konkurrent<br />

in einem Spiel, in dem alle glauben, potenziell mitspielen zu können. Nicht-Prominente<br />

sehen sich heute zunehmend als Noch-nicht-Prominente. Und wenn Sie<br />

an solche zumutungsreichen Formate wie das Dschungel-Camp denken, dann findet<br />

man dort immer nur sogenannte C-Promis, also Leute, denen kaum mehr Beachtung<br />

geschenkt wird. Sie versuchen – oft mit allen Mitteln – wieder ins Rampenlicht<br />

zu gelangen, gehen ein besonderes Tauschverhältnis ein. Etwas zugespitzt: Ein<br />

Politiker, der medial stattfinden will, tauscht – natürlich oft aus strategischen Gründen<br />

– Information gegen Publizität. Diejenigen, die auf das Niveau des Dschungel-<br />

Camps abgerutscht sind oder als gänzlich Unbekannte von einem Leben als Star<br />

träumen, können dieses Tauschverhältnis selbstverständlich nicht anbieten. Sie<br />

tauschen daher Intimität, Vulgarität und Stupidität gegen Publizität, sie offenbaren<br />

Privates, Intimes, Primitives – einfach nur, um noch einmal vorzukommen.<br />

Welche Funktion erfüllen Teilnehmer von Casting-, Coaching- oder anderen<br />

Reality-Formaten für die Produzenten solcher Shows?<br />

Es geht nicht darum, dass sie sich als ein Individum präsentieren, ihren eigenen<br />

Charakter offenbaren; sie sind als Lieferanten von Stereotypien und Klischees<br />

gefragt. Schicksale, die womöglich existieren, werden offensiv zurecht geschnitzt.<br />

In den Reality-Formaten finden sich in der Regel keine normalen, alltäglichen Beziehungsprobleme,<br />

sondern man begegnet dem Gebrüll, dem Geschrei, dem Getrampel.<br />

Eine schlicht und einfach überforderte Mutter kommt nicht vor, sondern man<br />

braucht die Mutter, die ausrastet und ausflippt – das ist aggressives Realitätsdoping.<br />

Im Falle von Castingshows geht es darum, ein Melodram aus Hoffen und Bangen,<br />

Aufstieg, Absturz und Verzweiflung, Sentimentalität, Kampf und Intrige zu weben.<br />

Zu besetzen sind die immer gleichen Rollen: die Zicke, der Streber, die Naive, der<br />

Underdog, die Peinliche, das verkannte Genie. Wer stattfinden will, muss eine dieser<br />

Rollen verkörpern und außerdem das eigene Privatleben als Reservoir für rührende<br />

oder schockierende Geschichten zur Verfügung zu stellen.<br />

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