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Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)

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Berlins Maidan:<br />

Wutplatz Alex<br />

Lange Zeit ist gerätselt worden, wieso<br />

Revolutionen in Deutschland so<br />

schwierig und selten sind. Spätestens<br />

seit den Ereignissen in der Ukraine ist<br />

endlich klar, woran dies liegt – es fehlt<br />

an den geeigneten Plätzen, auf denen<br />

sich Wut dauerhaft bündeln lässt. Der<br />

Maidan wurde ebenso zum Schlagzeilen-<br />

und Twitter-geeigneten Codewort<br />

für den Aufstand wie der Tahrir in<br />

Kairo oder der Taksim in Istanbul.<br />

Aber in Berlin? Auf dem Pariser<br />

Platz lässt sich eine Regierung nicht<br />

wirklich stürzen – zumal es schnell Ärger<br />

mit Touristen geben dürfte und den<br />

Hunderten, eng getakteten Demonstrationen<br />

gegen alle möglichen Übel dieser<br />

Welt. Der Willy-Brandt‐Platz vor dem<br />

Kanzleramt wirkt nicht wirklich einladend.<br />

Und auf dem Platz der Republik<br />

vor dem Reichstag ist sogar das Fußballspielen<br />

verboten. Eine Revolution<br />

würde hier wahrscheinlich am Eingreifen<br />

des Bezirksamts Mitte zum Schutz<br />

der Rasenfläche scheitern.<br />

Am besten geeignet ist eindeutig<br />

noch der „Alex“, also der Alexanderplatz<br />

in Ostberlin. Die vier Buchstaben<br />

sind absolut Twitter-freundlich. Die Architektur<br />

lässt keine versöhnlichen Gefühle<br />

aufkommen. Schon am 4. November<br />

1989 fand hier die größte nicht<br />

staatlich gelenkte Demonstration in der<br />

DDR-Geschichte statt – woran allerdings<br />

heute nichts mehr erinnert. Das<br />

Problem ist nur: Mehrfach im Jahr fällt<br />

der Alex als Platz der gesammelten<br />

Umsturzwut einfach aus – weil er dann<br />

mit unpolitischen Würstchen- und Tingel-Tangel-Buden<br />

verbaut ist. ink<br />

Schäubles neuer Sprecher:<br />

Kein Schwabenstreich<br />

Wieso engagiert der überzeugte<br />

Badener Wolfgang Schäuble als<br />

seinen künftigen Sprecher ausgerechnet<br />

einen Schwaben? Zwei Antworten:<br />

Die seriöse lautet: Einen Besseren hätte<br />

er nicht finden können. Die ironische:<br />

„Der Bundesfinanzminister will eben<br />

auch mal Daimler fahren.“<br />

Ein kluger Schachzug ist es allemal.<br />

Martin Jäger, 49 Jahre alt, bis Oktober<br />

noch deutscher Botschafter in<br />

Afghanistan, ist zwar kein Finanzexperte.<br />

Aber ein exzellenter Europapolitiker.<br />

Schrieb schon für den früheren<br />

Außenminister Klaus Kinkel und<br />

auch für Kanzler Gerhard Schröder<br />

die europapolitischen Reden, bevor<br />

Frank-Walter Steinmeier ihn 2005 als<br />

seinen Sprecher ins Auswärtige Amt<br />

holte. Von 2008 bis Herbst 2013 war<br />

er dann bei Daimler in Berlin Chef der<br />

Konzern-Repräsentanz.<br />

Dieser „Kerle“, wie Kinkel über Jäger<br />

zu sagen liebt, hat „Politik in den<br />

Fingerspitzen“. Und auch eine ideale<br />

Ausbildung für die Europapolitik. In<br />

seiner Jugend, ehe er 1994 in den diplomatischen<br />

Dienst ging, arbeitete er<br />

als Fotojournalist in Paris, schrieb von<br />

dort für deutsche Zeitungen und spricht<br />

fließend Französisch.<br />

Jägers Frau Nicole wurde 1965 in<br />

Böhmen geboren, hat einst für die Süddeutsche<br />

Zeitung als Journalistin gearbeitet,<br />

schreibt heute unter dem Namen<br />

Helena Reich Krimis. Ihre Bücherideen<br />

beziehe sie, spottet sie, „aus der heißen<br />

Luft um mich herum“. Kommt also bald<br />

ein Politkrimi? tz<br />

Minipartei auf dem Weg nach Brüssel:<br />

Familienpolitik<br />

Arne Gericke, aufgewachsen als<br />

Sohn eines Missionars in Papua-<br />

Neuguinea und heute Trauerredner in<br />

Tessin in Mecklenburg, hat vier Kinder,<br />

drei Pflegekinder, einen Hund und eine<br />

Katze. Seine Frau leitet den Pflegedienst<br />

einer Rostocker Tagesklinik. Weil er<br />

Freiberufler ist, lässt sich alles gut organisieren<br />

oder besser: spitze. 2012 kürte<br />

ihn die Bundesfamilienministerin zum<br />

„Spitzenvater“. Nun ist er obendrein<br />

Spitzenkandidat der Familien-Partei<br />

Deutschlands, 600 Mitglieder, Kurzbezeichnung:<br />

FAMILIE. 2009 holte sie bei<br />

der Europawahl 1 Prozent. Da das Verfassungsgericht<br />

die Drei-Prozent-Hürde<br />

niedergerissen hat, müsste die FAMI-<br />

LIE ihr Ergebnis nur halten, und Gericke,<br />

49, säße im Parlament. Straßburg,<br />

Brüssel – wie soll er das noch schaffen?<br />

Anders gefragt: Schadet die FAMILIE<br />

dann der Familie?<br />

Am Telefon wirkt Arne Gericke gelassen.<br />

Die Kinder seien sehr selbstständig,<br />

der Jüngste werde zwölf, „wir<br />

wollen was bewegen“. Er kritisiert die<br />

Benachteiligung der Familien, kritisiert<br />

die CDU, aus der er austrat, weil Roland<br />

Koch und Friedrich Merz nichts<br />

mehr zu melden haben. Nach dem Telefonat<br />

kommt per Mail noch eine Pressemitteilung.<br />

Ungewöhnlich daran ist,<br />

dass kein Name unter der Mail steht,<br />

nur: Mit den besten Grüßen, Pressestelle<br />

der Familien-Partei Deutschlands.<br />

Aber halt, da ist eine Handynummer.<br />

Hallo? „Hier ist Jakob Gericke.“ Nanu,<br />

schon wieder Gericke? „Ich mach die<br />

Pressearbeit für meinen Vater.“<br />

FAMILIE? Familie! löw<br />

11<br />

<strong>Cicero</strong> – 4. 2014

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