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Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)

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geübt. Doch Wallmann negiert damit völlig,<br />

dass bereits der Theologe Hermann<br />

Steinlein diese Thesen im Jahr 1932 als<br />

antikirchliche Propaganda entlarvt hatte.<br />

Steinlein konnte aufzeigen, dass<br />

sämtliche bis dahin erschienenen Gesamtausgaben<br />

<strong>Luther</strong>s dessen zweite Judenschrift<br />

enthielten und dass es ferner<br />

vier gesonderte Nachdrucke gab, mit denen<br />

das Werk im 16. bis 19. Jahrhundert<br />

vollständig oder in Auszügen erneut publiziert<br />

worden war. Zudem benannte er<br />

allein zehn evangelische Theologen, die<br />

sich seit dem Tod <strong>Luther</strong>s über die Jahrhunderte<br />

hinweg in ihren Schriften intensiv<br />

mit <strong>Luther</strong>s judenfeindlichen Thesen<br />

auseinandergesetzt hatten – überwiegend<br />

zustimmend, nur wenige kritisch.<br />

Steinlein führte ergänzend eindrucksvolle<br />

Beispiele für volkstümliche<br />

Schriften an, in denen mit scharf antisemitisch<br />

orientierter Grundhaltung<br />

<strong>Luther</strong>s Thesen verbreitet wurden. Er<br />

wies auf Gutachten von theologischen<br />

Fakultäten hin, in denen sich die Autoren<br />

auf <strong>Luther</strong>s Standpunkte bezogen.<br />

Schließlich zitierte er mit Heinrich<br />

Graetz und Reinhold Lewin zwei jüdische<br />

Historiker, die über die negative<br />

Wirkung von <strong>Luther</strong>s antijüdischen Texten<br />

berichtet hatten.<br />

Graetz beklagte 1853 unter Hinweis<br />

auf eine große Zahl antijüdischer Autoren,<br />

die sich auf <strong>Luther</strong> berufen hatten,<br />

dieser habe „mit seinem judenfeindlichen<br />

Testament die protestantische Welt auf<br />

lange Zeit hinaus vergiftet“. Reinhold<br />

Lewin war 1911 zu der Einschätzung<br />

gelangt: „Die Saat des Judenhasses, die<br />

er darin ausstreut, (…) wirkt noch lange<br />

durch die Jahrhunderte fort; wer immer<br />

aus irgendwelchen Motiven gegen<br />

die Juden schreibt, glaubt das Recht zu<br />

besitzen, triumphierend auf <strong>Luther</strong> zu<br />

verweisen.“<br />

In einer in Christ und Welt gedruckten<br />

Replik auf Thielmanns Thesen benennt<br />

der Erziehungswissenschaftler Micha<br />

Brumlik eine Reihe weiterer Autoren<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts, die nur zu<br />

gerne <strong>Luther</strong>s judenfeindliche Thesen<br />

aus seinen Schriften übernommen hätten.<br />

Beispiele sind für ihn Hartwig von<br />

Hundt-Radowskys hassverzerrte Polemik<br />

aus dem Jahr 1819 „Der Judenspiegel“<br />

oder das von Theodor Fritsch seit 1887<br />

fast jährlich publizierte „Handbuch der<br />

Judenfrage“. Darüber hinaus gab es aber<br />

auch im 19. Jahrhundert, worauf Graetz<br />

zu Recht hingewiesen hatte, hochgeachtete<br />

Wissenschaftler, wie etwa den Historiker<br />

Friedrich Rühs oder den Naturwissenschaftler<br />

Jakob Friedrich Fries, die<br />

1816 die <strong>Judenfeind</strong>schaft des späten <strong>Luther</strong><br />

zur Begründung ihrer entsprechenden<br />

Thesen herangezogen hatten.<br />

1985 publizierte der Historiker Günther<br />

B. Ginzel eine Analyse zur Bedeutung<br />

von <strong>Luther</strong>s zweiter Judenschrift.<br />

Unter Berufung auf zahlreiche Texte<br />

von Theologen und anderen Autoren<br />

des 19. Jahrhunderts und der zwanziger<br />

Jahre gelangt er zu der Einschätzung,<br />

MARTIN LUTHER<br />

dass Martin <strong>Luther</strong> mit seinen judenfeindlichen<br />

Thesen die Gesinnung und<br />

Haltung der evangelischen Geistlichkeit<br />

nachhaltig beeinflusst habe. Er sei so zum<br />

„Kronzeugen des modernen Antisemitismus“<br />

geworden. Viele der Autoren seien<br />

zudem von einer geradezu „sakralen<br />

Überhöhung des Deutschtums“ geprägt<br />

und bezögen sich auf <strong>Luther</strong>.<br />

Die hier herangezogenen Texte zeigen<br />

klar auf: <strong>Luther</strong>s späte Schriften erfuhren,<br />

gerade weil ihr Autor der große<br />

Reformator war, immer wieder starke<br />

Beachtung. Sie konnten so über Jahrhunderte<br />

hinweg bei der Begründung<br />

und Fortentwicklung judenfeindlicher<br />

19<br />

<strong>Cicero</strong> – 4. 2014

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