Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)
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KAPITAL<br />
Interview<br />
Ist Schiefergas für die Ukraine ein Weg<br />
aus der Abhängigkeit von Russland?<br />
Die Ukraine ist zu Demonstrationsprojekten<br />
bereit. Nach der Wahl im Sommer<br />
können Gespräche mit Unternehmen<br />
wie BP, Exxonmobil, Chevron oder<br />
Texaco über Probebohrungen beginnen.<br />
Was hat die EU damit zu tun?<br />
Wenn die EU ein interessanter Exportmarkt<br />
ist, lohnt sich die Investition.<br />
Zurück zum deutschen Strom: Unterschlagen<br />
Sie bei Ihrer Kritik an der Energiewende<br />
nicht, dass bei Sonnen- und<br />
Windkraft der Rohstoff gratis ist und<br />
weder CO 2<br />
noch Atommüll entsteht?<br />
Das bestreite ich nicht. Deswegen<br />
gehört den erneuerbaren Energien<br />
auch die Zukunft, wenn die Technik es<br />
erlaubt, Strom in größeren Mengen zu<br />
speichern. Aber dort werden wir erst in<br />
15 bis 20 Jahren sein. Auch die Netze<br />
brauchen Zeit. Heute werden Sonnenund<br />
Windkraftanlagen an Orten gebaut,<br />
an denen es keine Leitungsinfrastruktur<br />
gibt und wo die natürlichen Bedingungen<br />
ungünstig sind. An solchen volatilen<br />
Standorten brauchen wir ein Tempolimit<br />
für die Förderung. Die Eckpunkte<br />
von Sigmar Gabriel sind deshalb richtig.<br />
Die EU-Kommission prüft gerade, ob die<br />
Rabatte bei der Ökostromumlage legal<br />
sind, die Deutschland vielen Unternehmen<br />
gewährt. Sind Sie da auf der Seite<br />
der um die Rabatte besorgten Unternehmer<br />
oder auf der des Wettbewerbskommissars<br />
Joaquín Almunia?<br />
Almunia hat im Briefkasten einen<br />
Haufen Beschwerden. Fast alle sind aus<br />
Deutschland. Ein Beispiel: Zwei Textilunternehmer<br />
stellen Hightech-Textilien<br />
her. Der erste hat 16 Prozent Stromkosten<br />
in seiner Kalkulation, der zweite 13.<br />
Der erste ist voll befreit, der zweite zahlt<br />
voll. Er tobt – und das zu Recht.<br />
Und Sie wollen die Rabatte nicht vom<br />
Anteil der Stromkosten abhängig machen,<br />
sondern von der Branche?<br />
Ich will ein zweistufiges Verfahren.<br />
Erstens: Sektoren typisieren. Zweitens:<br />
Einzelfallprüfung, damit wir einem Unternehmen<br />
gerecht werden, das auch<br />
Stahl produziert, aber ansonsten ein Gemischtwarenladen<br />
ist.<br />
„Für Paris und<br />
Prag bin ich der<br />
Undercoveragent,<br />
der deutschem<br />
Ökostrom Vorteile<br />
verschafft“<br />
Während Sie den grünen Strom kritisch<br />
sehen, sorgen Sie sich um Dinosaurierstrom.<br />
Sie kritisieren zum Beispiel, dass<br />
Elektrizität aus tschechischen Atommeilern<br />
und polnischen Braunkohlekraftwerken<br />
wegen des Ökostroms<br />
nicht in das deutsche Netz kommt.<br />
Erneuerbarer Strom hat in Deutschland<br />
Vorrang im Netz. Das ist bei 2 Prozent<br />
Solarstrom und 3 Prozent Windstrom<br />
kein Thema. Aber wenn die beiden<br />
bei 15 Prozent plus x sind und an manchen<br />
Tagen bei weit über 30 Prozent,<br />
dann ist der Binnenmarkt gefährdet. Das<br />
ist, als ob auf der Autobahn an manchen<br />
Tagen nur Lastwagen von Edeka fahren<br />
könnten, und Carrefour darf seinen<br />
Bordeaux und seine Koteletts nicht<br />
transportieren.<br />
Wir können es ja mal umdrehen. Was<br />
sind denn die Vorteile der Atomkraft?<br />
Sie ist einfach ein Faktum. Wir hatten<br />
in Deutschland 23 Prozent Kernkraftstrom.<br />
Und wir haben in der Europäischen<br />
Union 28 Prozent Kernkraftstrom,<br />
wobei 14 Länder Kernkraftwerke betreiben.<br />
Ich habe den Stresstest für alle Reaktoren<br />
durchgesetzt, darauf aufbauend<br />
die Direktive zur nuklearen Sicherheit<br />
entwickelt – mit hohen Sicherheitsstandards<br />
für bestehende Kraftwerke, mit<br />
Nachrüstungspflichten. Und wir beschäftigen<br />
uns mit den Versicherungspflichten.<br />
Warum haben Sie solche Faktoren bisher<br />
nicht in die Kosten der Atomenergie<br />
eingerechnet? Das Deutsche Institut für<br />
Wirtschaftsforschung hat Ihnen vorgeworfen,<br />
Atomkraft schönzurechnen.<br />
Das bezog sich auf unsere Strategie<br />
für 2020, das ist jetzt dreieinhalb Jahre<br />
her. Wir haben heute allein durch das,<br />
was wir als neuen Standard für Kernkraftwerke<br />
vorschreiben, deutlich gestiegene<br />
Kosten: Hochwasserschutz,<br />
externe Notfallsysteme, Erdbebensicherheit.<br />
Dazu kommt die Haftpflicht. Das<br />
verändert die Kalkulation.<br />
Und? Haben Sie schon neu gerechnet?<br />
Im Sommer werde ich eine umfassende<br />
Analyse zum Thema Subventionen<br />
aller Art im Energiesektor vorlegen. Von<br />
der Forschung über Bau, Betrieb, Transport<br />
bis hin zur Endlagerung. Die Zahlen<br />
müssen vergleichbar sein.<br />
Sie inszenieren sich als Brüsseler<br />
Schiedsrichter. Warum stehen Sie nicht<br />
zu Ihrer Sympathie für Kernkraftwerke<br />
und Energiekonzerne?<br />
Ich würde Sie wirklich bitten, die<br />
Presse in London, Paris und Prag zu lesen<br />
und das mal mit Ihrem deutschzentrierten<br />
Bild abzugleichen. Ich gelte in<br />
Deutschland als einer der Letzten, der<br />
über Kernkraft spricht. Aber ich gelte in<br />
London, Paris und Prag als der Undercoveragent<br />
der Kanzlerin, der Deutschland<br />
durch die kalte Küche Vorteile für<br />
den grünen Strom verschafft.<br />
Streben Sie eigentlich eine zweite Amtszeit<br />
als Kommissar an?<br />
Ich bin auf beides vorbereitet. Rauszugehen,<br />
da bin ich gerade noch jung genug,<br />
um was ganz anderes zu machen.<br />
Oder drinzubleiben. Das hätte auch seinen<br />
Reiz.<br />
Warum?<br />
Diesmal werden maximal sechs<br />
oder sieben Kommissare wiederkommen.<br />
Viele meiner Kollegen haben auf<br />
der Wegstrecke die Regierung in ihrem<br />
Land verloren, die sie vorgeschlagen hat.<br />
Tajani war ein Vorschlag von Berlusconi,<br />
Barnier von Sarkozy, Lady Ashton von<br />
Gordon Brown. Wer wiederkommt, gehört<br />
zu einem ganz kleinen Kreis derer,<br />
die Erfahrung haben.<br />
88<br />
<strong>Cicero</strong> – 4. 2014