Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
SALON<br />
Hopes Welt<br />
DAS SCHIFF DES LEBENS UND SEINE VIELEN HÄFEN<br />
Wie ich in Kapstadt einmal daran erinnert wurde, dass die<br />
Wahrheit über einen Menschen nicht im Reisepass steht<br />
Von DANIEL HOPE<br />
Die Dame bei der Einreise am Flughafen<br />
Kapstadt schaute skeptisch. „Sie haben<br />
keinen südafrikanischen Pass?“ Ich verneinte.<br />
„Aber Sie sind in Südafrika geboren.“ Ich<br />
nickte, sie lächelte doch: „Welcome home, Sir.“<br />
Du wunderbares Wort „Zuhause“! Die Frage<br />
von Nationalität und Zugehörigkeit stelle ich<br />
mir, seit ich weiß, dass meine jüdischen Urgroßeltern<br />
mütterlicherseits in Berlin lebten und sich<br />
als Deutsche fühlten. Eigentlich müsste ich sagen,<br />
ich bin Südafrikaner. Ich könnte auch überzeugend<br />
argumentieren, ich bin Engländer, denn<br />
in England verbrachte ich Kindheit und Jugend.<br />
Englisch ist meine Muttersprache. Wie wäre es<br />
mit Österreicher, in Wien lebe ich seit Jahren.<br />
Oder Ire, meine Familie väterlicherseits stammte<br />
aus Irland. Ich habe einen irischen Reisepass.<br />
Den Iren habe ich es zu verdanken, dass wir<br />
damals in England bleiben konnten. Als unsere<br />
Aufenthaltsgenehmigung auszulaufen drohte,<br />
hätte dies eine Rückkehr nach Südafrika bedeutet.<br />
Für meine Eltern aber war das Leben im Südafrika<br />
der siebziger Jahre mit der abscheulichen<br />
Rassentrennung unerträglich geworden. Mein<br />
Vater hatte das kritische Literaturmagazin Bolt<br />
gegründet und erregte die Aufmerksamkeit der<br />
Behörden, indem er die Gedichte eines Schwarzen,<br />
des damaligen Präsidenten von Senegal,<br />
Léopold Senghor, darin veröffentlichte.<br />
Eines Sonntags läuteten zwei Telefontechniker.<br />
„Wir haben keine Probleme, und außerdem<br />
ist Sonntag“, sagte meine Mutter. Dennoch installierte<br />
der Monteur vor den Augen meiner Eltern<br />
im Telefonhörer eine Wanze. Von diesem<br />
Zeitpunkt an wurden alle Telefonate überwacht.<br />
Wenn meine Eltern das Haus verließen, wurden<br />
sie beschattet. Die Beamten der Sicherheitspolizei<br />
verheimlichten ihre Anwesenheit nicht,<br />
sondern winkten zynisch. Kuverts wurden aufgerissen,<br />
Briefe gelesen und wieder in die Umschläge<br />
gesteckt. Mein Vater hatte zu dieser Zeit<br />
eine Reihe von schwarzen Freunden, aber unter<br />
der Apartheidsregierung war es fast unmöglich,<br />
Kontakt zu halten. Wenn Gäste zum Abendessen<br />
in die Wohnung kamen, mussten sie heimlich<br />
den Dienstbotenlift nehmen. Die Benutzung<br />
des „Weißenlifts“ und der Aufenthalt im Gebäude<br />
nach Einbruch der Dunkelheit waren ihnen<br />
verboten.<br />
Wir flüchteten nach England, wo uns schnell<br />
das Geld ausging. Eines Tages erfuhr meine Mutter,<br />
dass man mit einem irischen Pass in England<br />
dauerhaft leben und arbeiten konnte. Sie wühlte<br />
sich durch das Taufregister im irischen Waterford,<br />
bis sie einen Taufschein meines Urgroßvaters<br />
ausfindig machte. Wir alle wurden Iren.<br />
Wenn ich sehe, wie viel Blut vergossen<br />
wurde im Namen unzähliger Nationalitäten, bin<br />
ich froh, in so vielen Ländern friedlich aufgenommen<br />
worden zu sein. Die eigene Nationalität<br />
scheint mir keine Frage des Reisepasses zu sein,<br />
sondern dieses Gefühl, Anker schlagen zu dürfen.<br />
„Was bist du zum Teufel?“, fragte mich neulich<br />
jemand. Ich bin überzeugter Europäer. Fragen<br />
Sie mich nur nicht nach meinem Pass …<br />
DANIEL HOPE ist Violinist von Weltrang und<br />
schreibt jeden Monat in <strong>Cicero</strong>. Sein Memoirenband<br />
„Familien stücke“ war ein Bestseller. Zuletzt<br />
erschienen sein Buch „Toi, toi, toi! – Pannen und<br />
Katastrophen in der Musik“ ( Rowohlt ) und<br />
die CD „Spheres“. Er lebt in Wien<br />
Illustration: Anja Stiehler/Jutta Fricke Illustrators<br />
142<br />
<strong>Cicero</strong> – 4. 2014