Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)
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KAPITAL<br />
Porträt<br />
FÜR PÄPSTE UND BARBIESAMMLER<br />
Seine Luxusregale stehen im Vatikan und bei Ex-Kanzlern. Aber Buchliebhaber sterben<br />
aus und zwingen Jan Paschen, das Familienunternehmen neu zu erfinden<br />
Von FLORIAN FELIX WEYH<br />
Es muss schön sein, als Buch in einem<br />
Paschen-Regal zu landen! In<br />
ein Paschen-Regal wird man zwar<br />
geschoben, doch nie abgeschoben. Selbst<br />
missratene Romane und längst verglühte<br />
Pamphlete wirken zwischen edlen Regalhölzern<br />
wie Ikonen abendländischer<br />
Kultur.<br />
Das Wort Regal hörte man im westfälischen<br />
Wadersloh bei Paschen & Companie<br />
allerdings lange Zeit ungern. Selbst<br />
frei stehende Einzelstücke hießen firmenintern<br />
Bibliothek. Der Unterschied ist<br />
leicht zu merken: Regale tragen Vornamen<br />
(Billy oder Ivar), Bibliotheken für<br />
Liebhaber einen Nachnamen. Und zwar<br />
den des Familienunternehmens, das Carl<br />
Paschen 1883 gründete.<br />
„Wir sind extrem nischentreu“, erklärt<br />
Jan Paschen, der kaufmännische<br />
Geschäftsführer. Zusammen mit seinem<br />
Bruder Christian, der für Design und Produktion<br />
verantwortlich ist, hält er zwei<br />
Drittel der Firma. Der Rest gehört den<br />
vier jüngeren Geschwistern. Die Nische<br />
heißt freilich nicht mehr Zigarrenkisten<br />
aus Zedernholz, mit denen der Ururgroßvater<br />
einst begann, sondern Buchaufbewahrungskultur.<br />
Dazwischen offerierte<br />
der Mittelständler Wohnmöbel zwischen<br />
kleinbürgerlichem Muff und Popart-Kreischen,<br />
begleitet von einem seltsamen Ruf<br />
in der Branche: „Möbel-Hippie aus Wadersloh“<br />
nannte die Konkurrenz Günter<br />
Paschen, Jans und Christians Vater. Mehr<br />
noch als dessen Haarlänge trug dazu die<br />
in der konservativen Branche als landesverräterisch<br />
gewertete Parteinahme für<br />
Brandts Ostpolitik bei.<br />
Anfang der neunziger Jahre hatte<br />
Günter Paschen genug vom Massengeschäft.<br />
Als Mittfünfziger wollte er noch<br />
einmal richtig Herzblut in die Arbeit stecken;<br />
sein Thema waren Bücher. Strategisch<br />
war die väterliche Entscheidung<br />
keineswegs durchdacht. Oder wie Jan<br />
Paschen heute sagt: „Seine ganze Strategie<br />
bestand aus der Fokussierung.“ Die<br />
beiden ältesten Söhne halfen ihm beim<br />
Umbau des Unternehmens. Dabei hatten<br />
die beiden heutigen Chefs bis dahin gar<br />
nichts mit Bibliotheken zu tun gehabt.<br />
Jan hatte sich als Schlagzeuger in Berlin<br />
verdingt. Der gelernte Tischler und<br />
Bootsbauer Christian war mit Freunden<br />
um die Welt gesegelt.<br />
Gemeinsam warf man den ganzen<br />
kleinbürgerlichen Wohnzimmerkrempel<br />
über Bord, durchlitt eine ökonomisch<br />
schwierige Zeit und befriedigte danach<br />
für mehr als ein Jahrzehnt höchst erfolgreich<br />
die Kundensehnsüchte nach einem<br />
intellektuellen Wohnambiente, in dem<br />
man sich Thomas Mann beim Korrigieren<br />
seiner Romane vorstellen kann.<br />
WER WIE EX-PAPST BENEDIKT, Ex-Kanzler<br />
Gerhard Schröder oder TV-Literaturderwisch<br />
Denis Scheck etwas auf sich<br />
hält, leistet sich seither eine Paschen-Bibliothek.<br />
Auch wenn diese erheblich mehr<br />
kostet als die Regalmeter mit den schwedischen<br />
Vornamen. Allein: Die Umsatzkurve<br />
flacht ab. „In den vergangenen<br />
Jahren ist uns die bürgerliche Mitte weggebrochen“,<br />
gibt Jan Paschen zu.<br />
Dem E-Book will er dabei gar nicht<br />
die Schuld geben, es ist ein Generationswechsel,<br />
vielleicht sogar ein genereller<br />
Kulturbruch. Und wieder sind die Akteure<br />
bei Paschen um die 50, wieder muss<br />
etwas passieren, um das Familienunternehmen<br />
mit seinen 150 Angestellten in<br />
die sechste Generation hinüberzuretten.<br />
Momentan gleicht das kulturelle<br />
Imponiergehabe osteuropäischer Eliten<br />
in Russland und – ja! – der Ukraine die<br />
Umsatzdelle noch aus. „Das hat bis jetzt<br />
nicht abgenommen“, sagt Jan Paschen,<br />
rechnet aber dieses Jahr mit Einbußen.<br />
Aber bieten Regale nicht neutralen<br />
Stauraum? Jan Paschen ist hin- und hergerissen:<br />
Nicht nur sei die bürgerliche<br />
Mittelschicht dem Buch weniger zugeneigt<br />
als früher, sie „minimalisiere“ auch<br />
ihren Lebensstil: Weniger Dinge in entleerten<br />
Wohnräumen. Um ein weiteres<br />
Marktsegment für sich zu gewinnen, hat<br />
Paschen längst Vitrinen und Regalwände<br />
für Sammler aller Art im Angebot: Leica-<br />
Kameras, Porzellanfiguren, Barbiepuppen,<br />
wofür auch immer sich jemand entflammen<br />
mag.<br />
Will Paschen in einer Übergangsphase<br />
beide Zielgruppen ansprechen,<br />
muss ihm ein Spagat gelingen. Oberflächlich<br />
betrachtet, verkauft er Möbel, doch<br />
wettbewerbsfähig ist er nur dort, wo die<br />
mitgelieferte Aura den hohen Preis rechtfertigt.<br />
Für Sammler von Märklin-Loks<br />
oder Überraschungsei-Figuren muss ein<br />
solch wertsteigernder Glorienschein erst<br />
erfunden werden. Damit könnte Paschen<br />
Sammler von dem schrulligen Image befreien,<br />
das ihnen häufig anhängt – vor allem,<br />
wenn ihre Leidenschaft bisher fern<br />
aller kulturellen Akzeptanz lag.<br />
FLORIAN FELIX WEYH ist selbst Gegner<br />
übertriebenen Minimalisierens. Denn die<br />
Schönheit der Welt teilt sich ihm nur mit,<br />
wenn er die Dinge noch anfassen kann<br />
MYTHOS<br />
MITTELSTAND<br />
Was hat Deutschland,<br />
was andere nicht haben?<br />
Den Mittelstand!<br />
<strong>Cicero</strong> stellt in jeder Ausgabe<br />
einen mittelständischen<br />
Unternehmer vor.<br />
Die bisherigen Porträts<br />
finden Sie unter:<br />
www.cicero.de/mittelstand<br />
Foto: Marcus Simaitis für <strong>Cicero</strong><br />
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<strong>Cicero</strong> – 4. 2014