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Cicero Judenfeind Luther (Vorschau)

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WELTBÜHNE<br />

Interview<br />

genügend Leute gibt, die die Hosen vollhaben<br />

und irgendwelche Ausreden gegen<br />

noch härtere Sanktionen suchen.<br />

Die osteuropäischen EU-Mitglieder und<br />

die westlichen scheinen sehr unterschiedliche<br />

Ansichten über Russland<br />

zu haben – woher rührt das?<br />

Das ist ganz einfach. Die einen haben<br />

die Erfahrungen mit der Herrschaft<br />

von Moskau, die anderen nicht. Das erzeugt<br />

eine unterschiedliche Sicht auf die<br />

Dinge. So lange ist die Zeit der russischen<br />

Dominanz noch nicht her, und wir haben<br />

das noch nicht vergessen.<br />

Sind die Osteuropäer inzwischen die<br />

überzeugteren Europäer?<br />

Nein, das würde ich nicht behaupten.<br />

Sie wissen nur, dass man Europa verteidigen<br />

muss. Dass Europa keine Selbstverständlichkeit<br />

ist. Wenn man Aggressionen<br />

nachgibt, wird man von diesen abhängig.<br />

Der ehemalige US-Außenminister Henry<br />

Kissinger hat unlängst dafür plädiert,<br />

den Krim-Konflikt nicht auf die Spitze<br />

zu treiben. Für die Ukraine gäbe es kein<br />

Entweder-Oder, Ost oder West, sondern<br />

sie wird immer ein Brückenstaat sein.<br />

Kissinger nennt Finnland als mögliches<br />

Zukunftsmodell für die Ukraine.<br />

Es wird immer eine Sonderbeziehung<br />

zwischen der Ukraine und Russland geben<br />

– allein aufgrund der Ähnlichkeit<br />

der Sprache. Sie ist kein Land, das sich<br />

100-prozentig nach Westeuropa orientieren<br />

wird können. Was wir aber nicht<br />

zulassen dürfen, ist, dass ein Staat von<br />

seinem Nachbarstaat erpresst und tyrannisiert<br />

wird. Diese besondere Beziehung<br />

der Ukraine zu Moskau lässt sich vielleicht<br />

auch mit der „besonderen Beziehung“<br />

vergleichen, die Großbritannien mit den<br />

Vereinigten Staaten hat. Oder eben mit<br />

Finnland. Ich kann mir vorstellen, dass die<br />

Ukraine kein Nato-Mitglied wird. Aber es<br />

ist unbedingt notwendig, dass sie EU-Mitglied<br />

wird, sonst gelingt der wirtschaftliche<br />

Aufbau nicht. Auch wenn es Jahre<br />

dauern kann. Sollte sich Russland aus der<br />

Krim zurückziehen, würde ich diese Perspektive<br />

für die Ukraine befürworten.<br />

Sie gehen aber offensichtlich nicht davon<br />

aus, dass Putin die Krim wieder<br />

hergibt.<br />

„ Es gibt seit dem<br />

18. Jahrhundert<br />

so etwas wie<br />

eine sadomasochistische<br />

Liebe zwischen<br />

Russland und<br />

Deutschland “<br />

Überhaupt nicht. Was ich gefressen<br />

habe, das behalte ich. Die Krim der<br />

Zukunft wird sich vielleicht autonome<br />

Republik nennen dürfen, so wie Südossetien.<br />

Aber wir wissen, was das de facto<br />

heißt. Die Welt ist eben kein Rosengarten.<br />

Gibt es für Deutschland eine eigene<br />

Rolle in dieser, wie Sie es nennen, neuen<br />

Frostperiode gegenüber Moskau?<br />

Deutschland ist in einer schwierigen<br />

Lage. Es ist das europäische Land, das die<br />

intensivsten Beziehungen zu Russland<br />

hat. Es gibt ja seit dem 18. Jahrhundert so<br />

etwas wie eine sadomasochistische Liebe<br />

zwischen Russland und Deutschland. Sie<br />

haben sich beide einige Mal versucht gegenseitig<br />

umzubringen und lieben sich<br />

seitdem heiß. Ein Axiom der deutschen<br />

Außenpolitik war immer, gute Beziehungen<br />

zu Russland zu haben. Das hat es<br />

schon unter Bismarck gegeben, das sollten<br />

wir nicht vergessen. Die Geschäftsinteressen<br />

sind wirklich sehr beträchtlich.<br />

Und bekanntermaßen ist Putins ganzer<br />

Stolz, dass er recht gut Deutsch spricht.<br />

Erfüllt Merkel ihre Rolle?<br />

Weil sie in der DDR aufgewachsen ist,<br />

tut sie sich in manchen Dingen leichter.<br />

Sie hat sicher ein besseres Verständnis<br />

für andere Politiker, die ebenfalls in den<br />

Warschauer-Pakt-Staaten aufgewachsen<br />

sind – und bei den Russen. Sie kann auch<br />

Russisch, wie jeder, der in dieser Generation<br />

in der DDR in die Schule gegangen<br />

ist. Ich glaube, sie ist Russland gegenüber<br />

etwas härter als ihr Außenminister. Aber<br />

auch sie war immer eher dazu geneigt,<br />

das besondere Verhältnis zu pflegen. Sie<br />

sieht aber ein, dass jetzt der Moment gekommen<br />

ist, in dem man hart bleiben<br />

muss. Sie sieht die Sowjetunion realistisch.<br />

Sie unterschätzt sie nicht, aber sie<br />

kennt auch ihre Schwächen. Ich denke,<br />

sie ist da relativ nüchtern.<br />

Kommen wir zur Ukraine zurück. Sehen<br />

Sie eine Art ukrainischen Václav<br />

Havel, also eine Integrationsfigur bei<br />

den oppositionellen Kräften, die das<br />

Land durch die nächsten Jahre führen<br />

könnte?<br />

Es gibt derzeit leider niemanden, der<br />

so integrativ wirkt, wie Havel es konnte.<br />

Am meisten konzentrieren sich die Hoffnungen<br />

jetzt auf Wladimir Klitschko.<br />

Aber ob er das Talent hat, alle anzuziehen,<br />

ist mir noch nicht klar. Die Ukraine<br />

litt leider immer unter den internen Streitigkeiten<br />

ihrer Eliten.<br />

Sie haben sich klar für harte Sanktionen<br />

ausgesprochen, die Europa auch Geld<br />

kosten werden. Wie lange wird die Bevölkerung,<br />

in Zeiten der Wirtschaftskrise,<br />

das mittragen?<br />

Wie ich schon sagte, Freiheit gibt<br />

es nicht umsonst. Europa muss Geld in<br />

die Hand nehmen und die Ukraine jetzt<br />

unterstützen – und zwar mit ordentlichen<br />

Summen. Nicht kleckern, sondern<br />

klotzen! Die Russen haben die Ukraine<br />

wirtschaftlich ja bewusst zugrunde gerichtet.<br />

Erst unlängst haben sie erklärt,<br />

den Gaspreis um 40 Prozent zu erhöhen.<br />

Was bitte ist da schon die Wirtschaftskrise?<br />

Wann immer ich durch Deutschland<br />

oder Österreich fahre, sehe ich unzählige<br />

neue BMWs und andere große<br />

Autos. Wir leben ja nicht wie in den dreißiger<br />

Jahren. Wir haben eine steigende<br />

Arbeitslosigkeit, aber die Hungrigen stehen<br />

nicht am Straßenrand. So arg ist es<br />

noch nicht. Das muss es uns einfach wert<br />

sein. Sonst sind wir international abgeschrieben,<br />

und die Vereinigten Staaten<br />

würden mit Recht sagen: Wir ziehen uns<br />

zurück, macht es selber.<br />

Das Gespräch führte BARBARA TÓTH<br />

62<br />

<strong>Cicero</strong> – 4. 2014

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