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Scan (25 MB) - Deutscher Rat für Landespflege

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E. Kühn<br />

Neue Städte in England<br />

Nie hat die Initiative eines Bürgers mehr Erfolg gehabt, als<br />

die Anregung des Parlamentsstenographen Ebenezer Howard,<br />

Schwierigkeiten in den Ballungsräumen, vor allem in<br />

London, durch den Bau neuer Städte zu vermindern. Damit<br />

wurde Ende des vorigen Jahrhunderts eine Bewegung ausgelöst,<br />

die heute noch nicht zur Ruhe gekommen ist.<br />

1898 erschien die Kampfschrift „Gardencitys of to morrow"<br />

in ihrer ersten Fassung. Ein Jahr später hatte die „Garden<br />

City Assosiation" schon 1300 Mitglieder.<br />

1902 wurde Letchworth und 1919 Welwyn gegründet. Heute<br />

gibt es allein in der Umgebung Londons 14 Neustädte.<br />

Andere entlasten Ballungsgebiete, vor allem im Norden des<br />

Landes.<br />

Ein Familienbild aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts<br />

zeigte eine Reisegesellschaft, die Letchworth besichtigte,<br />

und noch 70 Jahre später kann der Deutsche <strong>Rat</strong><br />

für <strong>Landespflege</strong> das Thema „Neue Städte" nicht übergehen<br />

und besucht Washington New Town.<br />

Wie war dieser Erfolg möglich, obwohl ein Jahr vor dem<br />

Erscheinen von Howards Schrift in Deutschland, Th.<br />

Fritsch in gleicher Absicht „Die Stadt der Zukunft" veröffentlicht<br />

hatte, aber ohne Beachtung blieb?<br />

„Ganz einfach, antwortete der Stenograph: Man kaufe das<br />

Areal für eine Stadt. Das, wörtlich, ist der erste Satz des<br />

Buches. Nichts weiter: Man kaufe es. Es ist diese Unverfrorenheit,<br />

welche dem Buch auch spöttische Besprechungen<br />

eingebracht hat 1" (Julius Posener in einem Vortrag<br />

an meinem Lehrstuhl).<br />

Mehrere Begebenheiten mußten offenbar zusammentreffen,<br />

um einen literarisch-theoretischen Vorschlag zu verwirklichen:<br />

Ein Bürger, der am besten durch Shaw's Bemerkung<br />

charakterisiert wird: „dieser erstaunliche Mann machte<br />

überhaupt keinen Eindruck und würde an der Börse als<br />

irgend ein Crack - also etwa als Idealist mit vielen<br />

Interessen - abgetan werden. Kein „Macher", sondern<br />

eher ein Träumer, zerstreut bis zur Selbstgefährdung.<br />

Großes Elend in den überbevölkerten Städten, nachdem<br />

viele Kleinpächter vom Großgrundbesitz vertrieben waren.<br />

Auf den freien Flächen wurden Schafe gehalten,<br />

deren Wolle - in der neuen Weberei-Industrie zu Tuchen<br />

verarbeitet - an die großen Heere geliefert und<br />

exportiert wurde.<br />

Eine Zeit, die als Antwort auf frühkapitalistisches Elend<br />

mancher Art, das England als erstes Land zu spüren<br />

bekam, auch empfänglich war für Heilslehren mancher<br />

Art.<br />

Ein Jahrhundert geistiger Vorbereitung. Um 1800 verdammte<br />

Balke „the dark satanic mills", die dunklen<br />

teuflischen Fabriken. 181 6, ein Jahr nach Waterloo,<br />

schlug Robert Owens vor, das Land mit kleinen Industrieorten<br />

von 2 000 Einwohnern zu überziehen, um den<br />

Zustrom zu den Industriezentren zu ·behindern.<br />

Buckingham verbesserte diese Idee 1849 durch die Anregung,<br />

derartige Neugründungen zu Städten für <strong>25</strong> 000<br />

bis 35 000 Einwohnern zusammenzufassen; mit vielen<br />

1 Die Times schrieb: „Alle Einzelheiten der Verwaltungs- und<br />

Steuerfragen etc. sind in hervorragender Weise durchgearbeitet.<br />

Die einzige Schwierigkeit besteht in der Erbauung der<br />

Stadt; aber das ist ja für Utopisten eine Kleinigkeit."<br />

sozialen Einrichtungen, wie etwa einer gläsernen Halle<br />

in Stahlkonstruktion für Läden usw., rings um die<br />

Innenstadt. Allerdings auf „ kommunistischer" Grundlage<br />

- ein Jahr nach dem Erscheinen des kommunistischen<br />

Manifests. Howard hat für sein Vorhaben diese<br />

politisch-wirtschaftliche Basis betont abgelehnt.<br />

1901 veröffentlichte Zola seinen Roman „Arbeit", in dem<br />

der Bau einer neuen Arbeiterstadt mit großem Enthusiasmus<br />

geschildert wird. 2<br />

Beispiele für neue Stadtgründungen auf der Grundlage<br />

humaner Vorstellungen. Fabrikbesitzer hatten ihre Fabriken<br />

und ihre Werke mit den Arbeitern in die freie<br />

Landschaft verlagert. 1853 entstand Saltaire für einen<br />

großen Textilbetrieb und 1897 „Bournville" bei Birmingham<br />

für die Schokoladenfabrik Cadbury. Die wohl ersten<br />

städtebaulich-statistischen Erhebungen in dieser Stadt<br />

ergaben, daß im Durchschnitt von 5 Jahren die jährliche<br />

Sterbeziffer je 100 Einwohner in Bournville 5,5 in<br />

Birmingham 10,2 und in ganz England 14,9 betrug -<br />

ein für Howards Bestrebungen förderliches Ergebnis,<br />

trotz der wohl damals schon vorhandenen Altersverschiebung<br />

in neuen Ansiedlungen.<br />

Die Vorliebe des Engländers für das Einfamilienhaus.<br />

Ein berühmter Engländer sagte, es sei unter der Würde<br />

der englischen Nation, in Kästen zu wohnen, die übereinander<br />

gestapelt würden. Um 1950 waren von dem<br />

Gebiet des Londoner Grafschaftsrates 84 % der Wohnungen<br />

Einfamilienhäuser; von den restlichen 16 % befanden<br />

sich mehr als 1 / 3 in zweigeschossigen Bauten.<br />

Das Geschick der englischen Nation, einen Notstand<br />

gelassen, aber gründlich zu untersuchen und - wenn<br />

Ursache und Lösung gefunden sind - ihm energisch,<br />

großzügig und ideologiefrei zu begegnen.<br />

Es lohnt, sich dieses Zusammenspiel von Untersuchung,<br />

gesetzgeberischer Folgerung und Planung am Beispiel<br />

der neuen Städte kurz in Erinnerung zu rufen:<br />

Um die unerträglich gewordene Situation in den lndstriequartieren<br />

Londons zu verbessern, wurde 1936 der „Housing<br />

Act" erlassen, dessen Bestimmungen vor allem der Slum­<br />

Sanierung auf der Basis hygienischer und wohntechnischer<br />

Kriterien dienten.<br />

Es zeigte sich aber bald, daß Sanierung als isolierte Maßnahme<br />

nicht ausreichen würde, und man bildete daher<br />

2 „Die Stadt Beau-Clalr sollte eine geistige ,Mitte' erhalten<br />

mit einem großen Festplatz, auf dem sich das Gemeindehaus<br />

befand, das von grünen Rasenplätzen umgeben war: Große<br />

Festsäle, Spielhallen und ein Theater standen hier dem Volke<br />

zur Verfügung und vereinigten es zu häufigen Belustigungen,<br />

die die Tage der Arbeit unterbrachen. Neben dem Familienleben,<br />

das sich jeder in seinem Hause nach seinem Gefallen<br />

gestaltete, war es gut und ersprießlich, das Volk so oft wie<br />

möglich in gemeinsamen Veranstaltungen zu einer Einheit zusammenzufassen,<br />

damit die vollkommene Harmonie immer<br />

mehr zur Wahrheit werde.<br />

Während daher die Familienhäuser einfach waren, prangte das<br />

Gemeindehaus in reichem Luxus, entwickelte alle Pracht und<br />

Schönheit, die dem königlichen Wohnsitze des Volkes zukommt.<br />

Es sch ien eine Stadt in der Stadt werden zu wollen, so dehnte<br />

es sich unaufhörlich, um den wachsenden Bedürfnissen zu genügen.<br />

Hinter dem Hauptgebäude entstanden immer neue Anbauten<br />

für Bibliotheken, Laboratorien, für Vorlesungen, Kurse,<br />

die jedermann zu Untersuchungen und Experimenten zur Verfügung<br />

standen, die Bildung und Wissen zu einem für alle offenen<br />

Gebiete machten und die festgestellten Wahrheiten überallhin<br />

verbreiteten."<br />

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