Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - Theologische ...
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D O K U M E N T A T I O N<br />
Heft 49, 7. Dezember 2001<br />
Hartmut Kreß<br />
Stammzellforschung (II)<br />
Menschenrecht auf Gesundheit<br />
Die Verwendung verwaister <strong>Embryonen</strong> ist ethisch denkbar.<br />
Die Debatte um die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />
embryonalen Stammzellen ist<br />
durch die Empfehlungen der<br />
Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />
(DFG) vom 3. Mai in Bewegung geraten.<br />
Die DFG votierte für eine stärkere<br />
Beteiligung <strong>an</strong> der <strong>Forschung</strong> mit<br />
Stammzelllinien von <strong>Embryonen</strong>, die<br />
bei künstlicher Befruchtung übrig geblieben<br />
sind. Demgegenüber hat zum<br />
Beispiel die Bundesjustizministerin<br />
„absolute Grenzen“ gefordert. Der<br />
diesjährige (104.) Deutsche Ärztetag<br />
hielt diese <strong>Forschung</strong> „derzeit“ nicht für<br />
ratsam.<br />
Es steht außer Frage: Der Umg<strong>an</strong>g<br />
mit <strong>Embryonen</strong> und die Beurteilung<br />
des moralischen Status von <strong>Embryonen</strong><br />
berühren das Menschenbild und<br />
das Verständnis von Menschenwürde<br />
zutiefst. Deshalb hat es seinen guten<br />
Sinn, dass heutzutage zum <strong>Embryonen</strong>schutz<br />
auf einer Basis reflektiert<br />
wird, die kulturgeschichtlich gesehen<br />
äußerst restriktiv ist. Erst seit der Aufklärungsepoche,<br />
vor allem seit dem<br />
Preußischen Allgemeinen L<strong>an</strong>drecht<br />
von 1794, setzte sich die strikte Auffassung<br />
durch, das ungeborene Kind<br />
schon von vornherein, von der Zeugung<br />
<strong>an</strong>, im vollen Sinn als schutzwürdigen<br />
Menschen zu erachten.<br />
Die katholische Kirche hat sich sogar<br />
erst 1869 endgültig von ihrer alten Lehre<br />
getrennt, das vorgeburtliche Leben<br />
werde erst am 80. oder 90. Tag nach der<br />
Empfängnis zu einem Menschen im eigentlichen<br />
Sinn. Diese Lehre gründete<br />
auf der Idee einer stufenweisen Beseelung,<br />
die Aristoteles oder Thomas von<br />
Aquin entwickelt hatten. Das volle<br />
Menschsein des Fetus resultiere aus der<br />
Einstiftung einer Geistseele, die, nach<br />
zwei Vorstufen der Beseelung, schließlich<br />
mehrere Wochen nach der Empfängnis<br />
stattfinde. Deshalb war für<br />
das mittelalterliche Kirchenrecht eine<br />
frühe Abtreibung der Leibesfrucht, vor<br />
der Einstiftung der Geistseele, viel weniger<br />
problematisch als eine spätere<br />
Abtreibung.<br />
Kein „absoluter“ Lebensschutz<br />
Letztlich verhalfen d<strong>an</strong>n die moderne,<br />
naturwissenschaftlich fundierte Biologie<br />
und Embryologie der restriktiven<br />
Sicht zum Durchbruch, dass der Embryo<br />
von vornherein ein eigenständiger<br />
schutzwürdiger Mensch ist. Biologisch<br />
betrachtet entwickelt sich der<br />
Embryo aus seiner genetischen Anlage<br />
heraus kontinuierlich zu einer vollständigen<br />
Person. Normativ-ethisch<br />
ausgedrückt: Er besitzt von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />
eine so gen<strong>an</strong>nte starke, nämlich eine<br />
aktive, in ihm selbst als Subjekt ver<strong>an</strong>kerte<br />
Potenzialität zum Personsein.<br />
Ethisch und menschenrechtlich gilt,<br />
dass die Menschenwürde jedem<br />
menschlichen Individuum gleicherweise<br />
und voraussetzungslos zukommt.<br />
Deshalb sind auch dem Embryo bereits<br />
in seinen frühesten Lebensstadien<br />
Schutzwürdigkeit und Lebensrecht zuzusprechen.<br />
Inzwischen mehren sich jedoch Stimmen,<br />
die einen gradualisierten <strong>Embryonen</strong>schutz<br />
vertreten. Ihnen zufolge<br />
nimmt die Schutzwürdigkeit des Embryos<br />
mit steigendem Reifegrad beziehungsweise<br />
mit fortschreitender Individualentwicklung<br />
zu. Solche Überlegungen<br />
wirken fast wie eine Aktualisierung<br />
der alten philosophisch-theologischen<br />
Idee der stufenweisen Beseelung des<br />
Fetus. Ihnen ist entgegenzuhalten, dass<br />
ethischer Begriffsbildung zufolge „Würde“<br />
oder „Schutzwürdigkeit“ einer Abstufung,<br />
Steigerung oder Qu<strong>an</strong>tifizierung<br />
grundsätzlich entzogen sind. Schon<br />
deswegen k<strong>an</strong>n ein Gradualitätskonzept<br />
nicht überzeugen.<br />
Umgekehrt lässt sich aber auch<br />
nicht der Ged<strong>an</strong>ke aufrechterhalten,<br />
der <strong>Embryonen</strong>schutz gelte in „absoluter“<br />
Form. Einen absoluten St<strong>an</strong>dpunkt<br />
zu vertreten, bedeutet, von konkreten<br />
Umständen, Situationen und H<strong>an</strong>dlungskonstellationen<br />
g<strong>an</strong>z abzusehen.<br />
Aus einem solchen Rigorismus heraus<br />
hat der Vatik<strong>an</strong>, der nunmehr die Geistbeseelung<br />
des Embryos sofort bei der<br />
Empfängnis lehrt, jetzt den Rückzug<br />
der deutschen katholischen Kirche aus<br />
der gesetzlichen Schw<strong>an</strong>gerschaftskonfliktberatung<br />
durchgesetzt. Die Deutsche<br />
Bischofskonferenz hat im März<br />
die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik kategorisch<br />
abgelehnt.<br />
Das Postulat „absoluter Grenzen“<br />
oder eines „absoluten“ <strong>Embryonen</strong>schutzes<br />
ist aber, g<strong>an</strong>z abgesehen von<br />
Evidenz- und Akzept<strong>an</strong>zproblemen in<br />
einer pluralen Gesellschaft, auch ethiktheoretisch<br />
nicht plausibel. In begründeten<br />
Fällen hat die Ethik Ausnahmen<br />
vom Lebensschutz stets zugestehen<br />
müssen. Klassische Beispiele sind die<br />
Notwehr, die Nothilfe oder der Verteidigungskrieg.<br />
Eine Relativierung von<br />
Lebensschutz und Lebenserhaltung<br />
liegt auch bei der passiven Sterbehilfe<br />
vor. Dort ist die Einsicht leitend, dass<br />
unerträglich gewordenes Leiden ein<br />
Ende haben darf und ein Sterben in<br />
Würde möglich sein sollte. Der Lebensschutz<br />
wird ferner relativiert, wenn in<br />
Konfliktfällen der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />
toleriert wird oder wenn das<br />
<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz darauf verzichtet,<br />
überzählige beziehungsweise<br />
verwaiste <strong>Embryonen</strong> am Leben zu erhalten<br />
(etwa durch Zulassung pränataler<br />
Adoption).<br />
So unterschiedlich diese Beispiele<br />
sind, belegen sie doch, dass in besonders<br />
begründeten Fällen sogar das<br />
menschliche Leben selbst in eine Abwägung<br />
gestellt werden darf. Die Würde<br />
des Menschseins und das Prinzip,<br />
dass der Lebensschutz fundamental ist<br />
und im Zweifel stets vorr<strong>an</strong>gig Geltung<br />
besitzt, werden dadurch nicht beeinträchtigt.<br />
Den Lebensschutz jedoch<br />
„absolut“ setzen zu wollen lässt sich<br />
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