Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - Theologische ...
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D O K U M E N T A T I O N<br />
146<br />
Mit dem Jahr 1952 beg<strong>an</strong>n<br />
das halbe Jahrhundert jener<br />
nachmodernen Erfahrungsexplosion,<br />
welche die Welt<br />
von Grund auf verändert hat.<br />
gibt, meint diese Erzählung, trägt in sich<br />
die Kr<strong>an</strong>kheit zum Tode.<br />
M<strong>an</strong> hat später diese hier flüchtig<br />
skizzierte Zeitstimmung aus Verzweiflung<br />
und Nostalgie, aus noch kaum artikulierter<br />
Sehnsucht nach Überwindung<br />
der „Welt der alten Männer“ und<br />
Selbstironie als „restaurativ“ bezeichnet<br />
und dabei übersehen, wie sich im<br />
Untergrund die Zukunft vorbereitete,<br />
wie sich ein starker demokratischer<br />
Kern bildete, der auch die Krisen der<br />
60er- und der 70er-Jahre zu überstehen<br />
vermochte. Dabei gab es genügend Signale,<br />
die auf die Zukunft verwiesen,<br />
doch haben wir als Zeitgenossen diese<br />
Signale nur unzureichend gedeutet.<br />
1952, als in Ost und West die ersten<br />
Wasserstoffbomben explodierten, als<br />
sich die Welt in zwei Machtblöcken<br />
verhärtete, gab es bereits Anzeichen<br />
jener Mobilität, die das Blocksystem<br />
der Welt gleichsam von innen her<br />
zerstört hat. Im Jahr 1952 nämlich purzelten<br />
die Geschwindigkeitsrekorde<br />
nicht nur in der Schiffspassage über den<br />
Atl<strong>an</strong>tik, sondern vor allem bei den<br />
L<strong>an</strong>gstreckenflügen. In neun Stunden<br />
und 50 Minuten flog erstmals ein<br />
amerik<strong>an</strong>ischer Düsenbomber non stop<br />
über den Pazifik von Alaska nach Jap<strong>an</strong>.<br />
Die Gravitationsfelder der Welt<br />
beg<strong>an</strong>nen sich unmerklich aus dem<br />
Westen der Welt in den Osten zu verschieben.<br />
Der stärkste Motor der Veränderung<br />
aber war (und ist) die Wissenschaft,<br />
deren technische Anwendungen jetzt<br />
von basalen Veränderungen<br />
sprachen.<br />
Mit dem Jahr<br />
1952 beg<strong>an</strong>n das<br />
halbe Jahrhundert<br />
jener nachmodernen<br />
Erfahrungsexplosion,<br />
welche die<br />
Welt von Grund<br />
auf verändert hat, bis wir in unseren Tagen<br />
– um mit Jürgen Habermas zu sprechen<br />
– nicht mehr neue Antworten auf<br />
alte Fragen suchen, sondern vor Fragen<br />
einer <strong>an</strong>deren Art stehen.<br />
Im Jahr 1952 wurde der Nobelpreis<br />
für Medizin <strong>an</strong> Selm<strong>an</strong> Abraham Waksm<strong>an</strong><br />
für die Mitentdeckung des Streptomycins<br />
vergeben, und im gleichen Jahr<br />
wurden Bakterien gezüchtet, die gegen<br />
dieses Antibiotikum 250 000-mal widerst<strong>an</strong>dsfähiger<br />
sind als die Ausg<strong>an</strong>gsform.<br />
Im Folgejahr schon (1953) haben<br />
Crick und Watson in der Zeitschrift<br />
„Nature“ jene klassische Beschreibung<br />
der DNA-Doppelhelix publiziert, die<br />
das biologische Zeitalter einleitete und<br />
die Mikrobiologie als Leitwissenschaft<br />
<strong>an</strong> die Stelle der Atomphysik setzte.<br />
Dass sich die Bundesärztekammer<br />
im Jahr 1952 einen Wissenschaftlichen<br />
Beirat geschaffen hat, war somit eine<br />
weitreichende und eine vorausschauende<br />
Entscheidung.<br />
Von nun <strong>an</strong> nämlich<br />
wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />
von<br />
Biologie oder besser<br />
von Biochemie<br />
und Medizin so eng, dass der Abst<strong>an</strong>d<br />
zwischen Grundlagenforschung und<br />
Entwicklung rasch zu schrumpfen beg<strong>an</strong>n,<br />
wissenschaftliche Entdeckungen<br />
und Entwicklungen das soziale Leben<br />
revolutionierten und die Entwicklungen<br />
bereits der Grundlagenforschung in<br />
wirtschaftliche und ethisch relev<strong>an</strong>te<br />
Bereiche eindr<strong>an</strong>gen. Die Aufgabe der<br />
Ärztekammern, für einen wissenschaftlich<br />
und ethisch hoch stehenden Ärztest<strong>an</strong>d<br />
Sorge zu tragen, war ohne fachkundige<br />
Beratung in beiden Bereichen<br />
nicht mehr zu erfüllen.<br />
Dass sich Ethik, insbesondere ärztliches<br />
Ethos, und Wissenschaft widersprechen<br />
können und solche Widersprüche<br />
in neuerer Zeit auch unter demokratischen<br />
Verhältnissen häufiger<br />
werden, liegt vermutlich <strong>an</strong> der besonderen<br />
Art, in der<br />
Naturwissenschaft und<br />
Technik sind geradezu durch<br />
ihren Fortschritt definiert.<br />
sich Naturwissenschaft<br />
und Technik<br />
weiterentwickeln.<br />
Der Begriff des<br />
„Fortschritts“, der<br />
seit wenigstens 1795<br />
im heutigen Wortgebrauch<br />
überliefert<br />
ist, als „Vermehrung der Einsichten,<br />
der Erfahrung, des Muts, der Fertigkeit<br />
im Guten oder auch im Bösen“,<br />
gehört zu den Naturwissenschaften und<br />
zur Technik in einem g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren<br />
Maße als zu Kunst, Literatur und Geisteswissenschaften.<br />
Naturwissenschaft und Technik sind<br />
geradezu durch ihren Fortschritt definiert,<br />
„Die Kernphysik überwindet die<br />
Alchimie; durch die Molekularbiologie<br />
wird die Physiologie der Körpersäfte<br />
überholt. Dasselbe gilt für die Anwendungen:E-Mail<br />
stellt eine Verbesserung<br />
gegenüber dem Semaphor dar, ein<br />
Überschallflugzeug überflügelt eine<br />
Galeone, das Chloroform ver<strong>an</strong>schaulicht<br />
das Heraustreten des Menschen<br />
aus unvorstellbaren Schmerzen. Keine<br />
Winde der Mode werden Naturwissenschaft<br />
oder Technologie in die Verg<strong>an</strong>genheit<br />
zurückwehen“ (G. Steiner).<br />
Durch die Beschleunigung des Erfahrungsw<strong>an</strong>dels,<br />
welche<br />
das grundlegende<br />
Kennzeichen<br />
der Moderne und<br />
der Nachmoderne<br />
ist, sind wir alle in<br />
der Lage, solche Fortschritte am eigenen<br />
Leibe zu prüfen: Wer in seiner<br />
Kindheit die Gefahren der Poliomyelitis<br />
gesehen hat, weiß, welch kluge Entscheidung<br />
es war,die wenigen zur Verfügung<br />
stehenden Mittel in den 50er-Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts nicht in die<br />
Perfektionierung der Eisernen Lungen,<br />
sondern in die virologische Grundlagenforschung<br />
und damit in die Entwicklung<br />
eines Impfstoffes zu investieren.<br />
Der Fortschritt in den Naturwissenschaften<br />
aber hat es <strong>an</strong> sich, dass er von<br />
Einzelnen kaum zu beeinflussen ist,<br />
dass er sich prozesshaft, gleichsam aus<br />
sich selbst heraus fortschreibt, dass damit<br />
auch alle Grenzen, welche die <strong>Forschung</strong><br />
sich selbst setzt und sich selbst<br />
setzen will, nicht haltbar sind. Die Summe<br />
der naturwissenschaftlichen Fortschritte,<br />
sagt George Steiner, übersteige<br />
„exponentiell ihre einzelnen Teile, und<br />
seien sie auch noch so sehr von persönlichem<br />
Genie inspiriert“. In einem gewissen<br />
und starken Sinne sei der naturwissenschaftlich-technische<br />
Fortschritt<br />
demnach „träge und oze<strong>an</strong>isch“, ließen<br />
sich „naturwissenschaftliche Theorien<br />
und Entdeckungen [nur]. . . als <strong>an</strong>onym<br />
denken. Die große Flut kommt herein“.<br />
Der g<strong>an</strong>ze Unterschied aber zu der „<strong>an</strong>deren“<br />
Kultur, der g<strong>an</strong>ze Unterschied<br />
zwischen „science“ und „literature“, ist<br />
d<strong>an</strong>n in Steiners Frage enthalten, die da<br />
lautet: „Was stellt im Gegensatz hierzu<br />
einen Fortschritt gegenüber Homer<br />
oder Sophokles, gegenüber Platon oder<br />
D<strong>an</strong>te dar“ So fügt er <strong>an</strong> diese – absurde<br />
– Frage die lapidare Antwort <strong>an</strong>:<br />
„Ernsthafte Werke werden weder über-