Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Die SS in der Verfassung des Dritten Reiches 137<br />
vollzog. Deshalb waren die Handlungen der Geheimen Staatspolizei, bei der schon<br />
verwaltungsrechtlich praktiziert wurde, was grundsätzlich <strong>für</strong> die ganze Polizei galt,<br />
der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte entzogen und konnten nur auf<br />
dem Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde angefochten werden, das heißt: es konnte<br />
nicht mehr festgestellt werden, ob die einzelne Polizeibehörde im „altmodischen"<br />
Sinne rechtmäßig, sondern nur ob sie nach dem Willen ihrer Vorgesetzten, beziehungsweise<br />
der zuhöchst vorgesetzten politischen Führung verfahren war. Die<br />
politische Führung, von der die Polizei ihre neuen Vollmachten und damit ihre verfassungsorganisatorische<br />
Stellung ableitete, war aber Hitler selbst oder der Reichsführer<br />
SS, keinesfalls jedoch der Reichsminister des Innern 16 .<br />
Die sekundäre Unterstellung unter den Reichsminister des Innern war trotz allem<br />
nicht völlig sinnlos. Sie ist zunächst eine <strong>für</strong> die Entwicklung der nationalsozialistischen<br />
Verfassung typische Bestimmung. Wie im ganzen die Weimarer Verfassung<br />
nie ausdrücklich abgeschafft, sondern nur völlig ausgehöhlt und von Fall zu Fall<br />
durch neue Bestimmungen gegenstandslos gemacht wurde, so wurden die vielen<br />
im Dritten Reich neu geschaffenen Zuständigkeiten fast stets so eingeführt, daß<br />
die Rechte und Kompetenzen der bisher zuständigen Behörden „hiervon unberührt"<br />
blieben, das heißt: der Strom der Staatsgeschäfte wurde umgeleitet,<br />
und das alte Flußbett Heß man ausgetrocknet fortbestehen. Zum anderen waren<br />
ja mit der verfassungsorganisatorischen Lösung der Polizei aus der staatlichen<br />
Zuständigkeit die verwaltungsrechtlichen, beamtenrechtlichen und technisch-organisatorischen<br />
Zusammenhänge noch längst nicht alle durchschnitten,<br />
besonders nicht in den politisch mehr oder weniger unwichtigen Sparten der Polizei.<br />
Der Behördencharakter der Polizei und die dort geltenden wirtschaftlichen und<br />
organisatorischen Vorschriften konnten nur sehr langsam an die ganz anderen<br />
Formen und Regelungen bei der SS angeglichen werden. So blieb vieles in der<br />
Polizeiverwaltung beim alten, aber immer nur gleichsam „auf Abruf" und nur<br />
so lange, als das Alte den Zwecken und Maßnahmen der politischen Führung<br />
nicht widersprach. Schließlich hätte der Reichsminister des Innern ohne ein sekundäres<br />
Verfügungsrecht über die Polizei überhaupt keine Möglichkeit gehabt, diese<br />
einzusetzen, auch wenn es <strong>für</strong> politisch völlig bedeutungslose Zwecke war.<br />
Wenn sich auch die Führerverfassung nur teilweise verwirklichen Heß und weder<br />
mit Recht noch mit Ordnung eigentlich etwas zu tun hatte 17 , so war sie doch keine<br />
Propagandaphrase, sondern die Grundlage dessen, was im Dritten Reich juristisch<br />
galt; sie war nicht nur politisch wirksam, sondern auch <strong>für</strong> Gesetzgebung und Rechtsprechung<br />
maßgebend. Man kann sie deshalb heute nicht einfach ignorieren und statt<br />
dessen die „hiervon unberührt" gebliebenen Rudimente der rechtsstaatlichen Verwaltung<br />
<strong>für</strong> die Wirklichkeit nehmen. Weil die nationalsozialistische Verfassungsorganisation<br />
nur zum kleinen Teil ausdrücklich in Gesetzen (und auch dann meist indi-<br />
16 Vgl. Maunz a. a. O., S. 26ff. und Best, Die Deutsche Polizei, Darmstadt 1940, S. 14ff.<br />
17 Warum die Führerverfassung eigentlich keine Rechtsform mehr war, kann hier nicht<br />
erörtert werden; unsere Untersuchung beschäftigt sich nicht mit dem Wesen, sondern mit den<br />
Konsequenzen dessen, was im nationalsozialistischen Deutschland Geltung hatte.