23.11.2012 Aufrufe

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Demokratie ohne Sicherheitsventil 165<br />

ratenden Vertretung, eine später als Broschüre 11 erschienene Rede, in welcher er<br />

sich mit der vorgesehenen Wiedereinführung der Verhältniswahl befaßte. Er kam<br />

zu dem Ergebnis, daß Italien bei diesem Wahlsystem ein gedeihliches parlamentarisches<br />

Leben nach dem zweiten Weltkriege ebensowenig erwarten könne wie<br />

nach dem ersten.<br />

Ein Argument wurde von Einaudi immer wieder betont: Bei Verhältniswahl<br />

bekomme man eine Demokratie ohne die <strong>für</strong> sie so notwendige „valva di sicurezza"<br />

— das Sicherheitsventil. Offenbar erwartete Einaudi, daß sich in Italien erneut eine<br />

extreme Rechte und extreme Linke bilden, und daß diese beiden Gruppen ein<br />

Monopol der Opposition erhalten würden, während die von ihnen zusammengedrückten<br />

Mittelparteien mit einem Monopol der Verantwortung belastet wären.<br />

Er hielt es <strong>für</strong> wesentlich, daß sich in einer Demokratie eine gemäßigte Regierung<br />

und eine gemäßigte Opposition gegenüberstünden. Die letztere wäre dann in der<br />

Lage, ihren Platz mit der ersteren zu vertauschen, ohne daß eine Krise des demokratischen<br />

Systems einträte.<br />

Einaudi wußte, daß mit einem Erfolge seiner Warnungen nicht zu rechnen sei.<br />

Ihm und den wenigen anderen Vertretern der großen liberalen Tradition seines<br />

Landes, wie Benedetto Croce und Vittorio Emmanuelo Orlando, standen bereits in<br />

der Beratenden Versammlung die großen Bataillone der „Massenparteien" gegenüber,<br />

der Kommunisten, Sozialisten und Christlichen Demokraten, deren Entscheidung<br />

<strong>für</strong> die Verhältniswahl eine unabänderliche Tatsache war.<br />

Betrachten wir nun die tatsächlichen Folgen der Verhältniswahl im Nachkriegsitalien,<br />

so ergeben sich drei deutlich voneinander getrennte Perioden, die jeweils<br />

den Wahlen von 1946, 1948 und 1953 folgten. - Für die Wahlen zur verfassunggebenden<br />

Nationalversammlung verließ man sich auf eine reine Verhältniswahl,<br />

der zufolge der Prozentsatz der von einer Partei gewonnenen Sitze fast haargenau<br />

der Prozentzahl ihrer Stimmen entsprach. Das galt auch <strong>für</strong> kleine Splitterparteien;<br />

so erzielte die Christlich-soziale Partei mit 0,2% der Stimmen 0,2% der Mandate,<br />

wenn schon die 60 kleinsten Parteien, auf die insgesamt 1,8% der Stimmen fielen,<br />

eben doch zu klein waren, um ein Mandat zu erhalten.<br />

Die politischen Auswirkungen dieses Wahlrechts wurden durch einen Umstand<br />

modifiziert, durch welchen ein gesellschaftliches Kraftzentrum auf die politische<br />

Ebene übertragen wurde: die „Democrazia Cristiana" erwies sich als wesentlich<br />

stärker als ihre Vorgängerin, Don Sturzos „Partito Populare Italiano", deren<br />

Stimmanteil um 20% lag, während De Gasperis Partei auf den ersten Anhieb<br />

35,2% der Stimmen erhielt. Dieses Resultat ist der fast kompromißlosen kirchlichen<br />

Unterstützung der „Democrazia Cristiana" zu verdanken, die im Gegensatz<br />

zu der zögernden Haltung stand, welche die Kirche gegenüber der Volkspartei<br />

eingenommen hatte. Zudem war das Prestige der Kirche gegenüber der Zeit nach<br />

dem ersten Weltkrieg erheblich gewachsen, und ferner begünstigte das nunmehr<br />

11 Luigi Einaudi, „Contro la Proporzionale", Discorso Pronunciato Alla Consulta Nazionale<br />

Nella Seduta Dell' 11 Febbraio, Rom 1946.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!