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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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166 Ferdinand A. Hermens<br />

eingeführte Frauenstimmrecht die Christlichen Demokraten in einem Umfang,<br />

dessen sich die Öffentlichkeit nur selten bewußt wird. Nach Erhebungen des italienischen<br />

<strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> die Erforschung der öffentlichen Meinung (Doxa) stellten die<br />

Frauen im Jahre 1953 volle zwei Drittel der christlich-demokratischen Wählerschaft<br />

dar, während bei allen anderen Parteien der Anteil der Frauen sich auf<br />

weniger als die Hälfte belief 12 . Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß sich<br />

in dieser Hinsicht die Dinge zwischen 1945 und 1955 verschoben hätten.<br />

Diese Stärke der Christlichen Demokraten ist das große Positivum der italienischen<br />

Nachkriegspolitik. Es kam hinzu, daß De Gasperi ein Parteiführer von<br />

ungewöhnlicher Autorität war. So bildeten die Christlichen Demokraten den ruhenden<br />

Pol in der Erscheinungen Flucht, wenngleich zu berücksichtigen ist, daß sie<br />

mit einem guten Drittel der Parlamentssitze keine Mehrheit hatten.<br />

Zunächst wurde das jedoch deswegen nicht relevant, weil eine Koalition aller<br />

größeren Parteien, einschließlich der Kommunisten, bestand. Immerhin bedeutete<br />

die Anwesenheit der Kommunisten im Kabinett, daß sich ein Zustand der Halblähmung<br />

entwickelte, in welchem es insbesondere nicht möglich war, die Inflation<br />

zu Ende zu bringen. !<br />

Im Mai 1947 entledigte sich De Gasperi der Kommunisten, denen die Linkssozialisten<br />

folgten. Die daraufhin gebildete Minderheitskoalition erwies sich zwar<br />

auf dem entscheidenden Gebiete der Währungspolitik als relativ handlungsfähig,<br />

aber ihre Position, und damit die Position der italienischen Demokratie, war prekär.<br />

De Gasperi mußte sich die zu einer Mehrheit erforderlichen Stimmen entweder<br />

bei den Qualunquisten oder bei den. gemäßigten Sozialisten verschaffen.<br />

Manche Beobachter waren damals der Auffassung, daß in Italien der Bereich der politischen<br />

Möglichkeiten unbegrenzt sei. Natürlich hatte an dieser allgemeinen Unsicherheit<br />

die der Währungsstabilisierung folgende wirtschaftliche Krise ihren Anteil.<br />

Oft hat jedoch die krisenhafte Zuspitzung einer Lage ihre Vorteile. Sie bringt<br />

sich einem Volke in solcher Schärfe zum Bewußtsein, daß außerordentliche Anstrengungen<br />

gemacht werden, um ihr zu begegnen. Das erschien <strong>für</strong> die auf den<br />

18. April 1948 angesetzten Wahlen zur ersten Kammer der italienischen Republik<br />

um so dringlicher, weil es zeitweise schien; als ob ein Wahlsieg der vereinigten<br />

Kommunisten und der Linkssozialisten möglich sei. Die außergewöhnlichen Anstrengungen<br />

zur Beseitigung dieser Möglichkeit konzentrierten sich in der Unterstützung<br />

der Christlichen Demokraten. Damit gab sich die Entwicklung des <strong>für</strong><br />

die heutige Lage in Italien so charakteristischen katholisch-kommunistischen Zweikräftesystems.<br />

Es ist natürlich von einem Zweiparteiensystem grundverschieden.<br />

Die führenden Parteien etwa der angelsächsischen Länder haben sich aus den<br />

funktionalen Notwendigkeiten der Politik ergeben 13 ; sie sind daher gemäßigt und<br />

12 Elio Caranti, Sociologia e Statistica Delle Elezioni Italiane Nel Dopoguerra, Edistrice<br />

Studium, Rom 1954, S. 117. Diese Schrift stellt eine Fundgrube von Material über die italienische<br />

Politik dar.<br />

13 Zur funktionalen Theorie der politischen Parteien siehe F. A. Hermens, „The 1938 Elections<br />

and the American Party System", Review of Politics, April 1939.

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