Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Demokratie ohne Sicherheitsventil 169<br />
tung war und <strong>für</strong> ausreichende Mehrheiten sorgte, was nur die Aufgabe des Schutzes<br />
der parlamentarischen Minderheiten übrig ließ, während es nunmehr bei Verhältniswahl<br />
darauf ankomme, die tatsächliche Mehrheit gegen die Obstruktion der<br />
Minderheiten zu schützen.<br />
Die Opposition betonte dagegen, daß der Gedanke einer Mehrheitsprämie dem<br />
Vermächtnis des Faschismus entnommen sei, unter dem ein Gesetz erlassen<br />
wurde, welches der führenden Partei eine Zweidrittelmehrheit zusprach, falls sie<br />
mindestens 25 Prozent der Stimmen erhielt. Nun besteht ein großer Unterschied<br />
zwischen 25 und mehr als 50 Prozent der Stimmen; ferner standen die Wahlen von<br />
1924 unter dem Zeichen des Terrors, während die von 1953 sich voller demokratischer<br />
Freiheit erfreuten. Trotzdem ging die Ähnlichkeit zwischen den beiden Gesetzen<br />
weit genug, um auch überzeugte Anhänger der Demokratie zu entschiedener<br />
Ablehnung der Mehrheitsprämie zu veranlassen, so unaufrichtig auch viele hier<br />
von der extremen Rechten und Linken gegen das Gesetz vorgebrachten Argumente<br />
waren.<br />
Die Ergebnisse der Wahlen vom 7. Juni 1953 sind bekannt. Nach den Resultaten,<br />
die von den Provinzen nach Rom berichtet wurden, hatten die verbündeten Mittelparteien<br />
nur 49,797 Prozent der Stimmen erhalten. Damit war die Mehrheitsprämie<br />
hinfällig geworden, und die Sitzverteilung fand im wesentlichen nach den<br />
Bestimmungen des Gesetzes von 1948 16 statt, die immerhin der Mitte, einschließlich<br />
der Südtiroler, 302 von insgesamt 590 Sitzen zuerkannten.<br />
Innerhalb des Kabinetts bestand zunächst die Neigung, durch ein Dekret eine<br />
Behörde <strong>für</strong> eine zentrale Prüfung der Wahlresultate einzurichten 17 , deren Aufgabe<br />
es gewesen wäre, die <strong>für</strong> ungültig erklärten Stimmen zu überprüfen. Theoretisch<br />
16<br />
Es gab allerdings keine Landesliste mehr; die zusätzlichen Sitze gingen an die der Wahl<br />
nächsten Abgeordneten der Partei in den Wahlkreisen.<br />
17<br />
Es war eine Rekordzahl von Stimmen <strong>für</strong> ungültig erklärt worden. Bei der lokalen<br />
Stimmenzählung hatten sich die Vertreter der Rechten und Linken, so wie die der neuaufgestellten<br />
„Störungslisten", zu dem Zwecke verbunden, eine jede Stimme anzufechten, die <strong>für</strong><br />
die Mittelparteien bestimmt und nicht in allem vorschriftsgemäß ausgedrückt worden war.<br />
Möglichkeiten zu einem solchen Verfahren ergaben sich insbesondere aus dem System der<br />
freien Liste. Im italienischen Kammerwahlrecht hängt die Reihenfolge der auf einer Liste<br />
gewählten Kandidaten ausschließlich von den Vorzugsstimmen der Wähler ab. In den Wahlen<br />
von 1946 und 1948 waren die Vorzugsstimmen durch Niederschreiben des Namens der fraglichen<br />
Kandidaten auszudrücken. Für 1953 war bestimmt worden, daß Vorzugsstimmen auch<br />
mit Hilfe der Nummern gegeben werden konnten, unter welchen die Kandidaten auf der Liste<br />
erschienen. Die Absicht war, den des Schreibens nicht oder nicht zureichend Kundigen die<br />
Abgabe von Vorzugsstimmen zu erleichtern.<br />
Es waren die Christlichen Demokraten, die auf dieser Änderung bestanden hatten und bald<br />
ihr Opfer werden sollten. Eine jede Christlich-Demokratische Partei schließt verschiedene<br />
Strömungen und Tendenzen in sich, woran es gerade in Italien nicht fehlt. Den Vertretern<br />
dieser Tendenzen erschien es erwünscht, die Abgabe von Vorzugsstimmen zu erleichtern, die<br />
in viel weiterem Umfange dem Ausdruck einer Richtung oder eines Interesses innerhalb der<br />
Partei als der Wahl einer Persönlichkeit dienten. Im Jahre 1953 gingen viele Christlichdemokratischen<br />
Kandidaten so weit, daß sie den Wählern zwar nachdrücklich die Nummer<br />
einzuprägen suchten, unter der sie auf der Liste erschienen, aber die Liste als solche nicht mehr