Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Demokratie ohne Sicherheitsventil 173<br />
Italien nicht wenige, die sich geistig bereits auf eine solche Entwicklung eingestellt<br />
haben.<br />
Nun sind die Mittelparteien aber nicht zum fatalistischen Abwarten verurteilt.<br />
In Ministerpräsident Scelba haben sie jemand gefunden, der Umsicht mit Energie<br />
verbindet. Er kündigte ein Programm an, das durch Modernisierung der parlamentarischen<br />
Geschäftsordnung eine größere Schlagkraft der Mehrheit garantieren<br />
sollte, und das auf der anderen Seite die Kommunisten der Privilegien berauben<br />
würde, die sie sich seit Ende des Krieges geschaffen hatten. So ist die kommunistische<br />
Partei im Besitz früher der faschistischen Partei gehöriger Gebäude, die Staatseigentum<br />
sind, aber den Kommunisten vertraglich gegen nominelles Entgelt überlassen<br />
wurden. Viele kommunistische Gewerkschaftsfunktionäre sind Staatsbeamte, und<br />
beziehen Gehalt als solche, während sie sich praktisch nur mit Agitation befassen.<br />
Schließlich kontrolliert die kommunistische Partei den Handel mit den Staaten östlich<br />
des Eisernen Vorhangs und zieht daraus finanzielle Vorteile, die es ihr nach<br />
gewissen Schätzungen ermöglichen, <strong>für</strong> politische Agitation soviel auszugeben wie<br />
alle anderen Parteien zusammengenommen.<br />
Diese Probleme lassen sich lösen, aber das ist nur möglich, wenn die Regierung<br />
nicht durch innere Zwistigkeiten gelähmt wird. Im November 1954 verlangten die<br />
Sozialdemokraten eine Regierungsumbildung, die von den christlichen Demokraten<br />
abgelehnt wurde, aber erneut die zwischen den Regierungsparteien vorhandenen<br />
Unstimmigkeiten zur Schau stellte. Das anti-kommunistische Programm wurde so<br />
in Frage gestellt, ehe man auch nur mit seiner Anwendung ernsthaft begonnen<br />
hatte.<br />
Weiterhin ist es an sich möglich, sowohl der extremen Linken wie der extremen<br />
Rechten einen erheblichen Teil ihrer Stimmen abzunehmen. Es befinden sich insbesondere<br />
unter den kommunistischen Wählern viele, welche die wirklichen Ziele<br />
ihrer Partei nicht bejahen und diese nicht einmal kennen. Sie stimmen <strong>für</strong> die<br />
Kommunisten, weil sie ihren Protest gegen die bestehenden wirtschaftlich-sozialen<br />
Verhältnisse und nicht minder gegen die bestehende Regierung zum Ausdruck<br />
bringen wollen. Nun läßt sich mit gutem Grunde sagen, daß das augenblickliche<br />
Regierungsprogramm nicht wenig an Maßnahmen der Wirtschafts- und Sozialreform<br />
enthält. Diesbezügliche Argumente sollten insbesondere von den Sozialdemokraten<br />
vorgetragen werden und ihnen zugute kommen. Als Gefangene einer<br />
Koalition, die auch Vertreter einer ausgesprochenen liberalen Wirtschaftspolitik<br />
einschließt, fällt es ihnen jedoch schwer, bei den Massen Glauben zu finden. Die<br />
Negation der vielen nichtkommunistischen, aber der kommunistischen Partei zugute<br />
kommenden Stimmen richtet sich eben gegen die proporzbedingten politischen<br />
Verhältnisse nicht weniger als gegen die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse<br />
des Landes.<br />
Nun wäre ein Sieg gegen die Kommunisten heute auch bei Mehrheitswahl — was<br />
in Italien Einerwahlkreise mit Stichwahl bedeuten würde — nicht mehr so leicht<br />
wie 1946 und 1948. Im Jahre 1946 erzielten die Kommunisten 19,0 Prozent der<br />
Stimmen gegenüber 20,7 Prozent <strong>für</strong> die damals noch geeinten Sozialisten aller