Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Demokratie ohne Sicherheitsventil 167<br />
wirken integrierend. Das italienische Zweikräftesystem bedeutet dagegen die Projektion<br />
gesellschaftlicher Gegensätze in die Politik, deren Intensität durch keinerlei<br />
politische Anpassungsmechanismen gemildert worden ist.<br />
Die Konzentration der demokratischen Stimmen auf die Christlich-demokratische<br />
Partei gab diesen 48,5% der Stimmen und 53,1% der Sitze; das Wahlgesetz war<br />
inzwischen dahin geändert worden, daß weniger Sitze auf der Landesliste zur Verteilung<br />
gelangten, und von dieser alle Parteien ausgeschlossen waren, die nicht<br />
wenigstens ein Mandat in einem der 30 Wahlkreise erhalten hatten.<br />
Nach diesem Wahlsieg der Christlichen Demokraten schien Italien zunächst ein<br />
neues Land zu sein. Vertrauen und Zuversicht waren an die Stelle der bisher weit<br />
verbreiteten und an Verzweiflung grenzenden Mutlosigkeit getreten. Es war<br />
De Gasperi möglich, die Reformmaßnahmen einzuleiten, deren Erfolg oben dargelegt<br />
worden ist. Außenpolitisch kam Italien aus seiner Isolierung heraus und<br />
wurde zu einem geachteten Partner der Verhandlungen, deren Ziel es war, dem<br />
nicht von Rußland besetzten Teil Europas seine Freiheit zu sichern.<br />
Nun war man sich in Italien nach dem 18. April 1948 — anders, als das in<br />
Deutschland nach dem 6. September 1953 der Fall sein sollte — von vornherein<br />
des Umstandes bewußt, daß eine aus Zufallsgründen entstandene Mehrheit keine<br />
Dauerlösung darstellt. Man begann, nach Möglichkeiten Umschau zu halten, die<br />
dem Lande eine echte institutionale Stabilität sichern konnten. De Gasperi war<br />
sich darüber klar, daß die entscheidenden Schritte auf dem Gebiet des Wahlrechts<br />
getan werden mußten. Das bedeutete <strong>für</strong> einen italienischen Christlichen Demokraten<br />
einen grundsätzlichen Gesinnungswechsel. Don Sturzos Volkspartei war bis<br />
zum letzten <strong>für</strong> die Verhältniswahl eingetreten, und in diesen Erörterungen war<br />
De Gasperi einer ihrer Wortführer. Die Volkspartei hatte die Verhältniswahl zunächst<br />
einfach deswegen gewollt, weil sie eine Minderheit war. Es kam hinzu, daß<br />
christlich-demokratische Parteien ungern geneigt sind, jene enge Verbindung mit<br />
Andersdenkenden einzugehen, die bei der Mehrheitswahl eine unablässige Notwendigkeit<br />
sind, so sehr sie in der Richtung des Gemeinwohls liegen, wie es die<br />
christliche Sozialphilosophie definiert.<br />
Es war daher natürlich, daß De Gasperi zunächst nach Lösungen suchte, welche<br />
die Psychologie und Soziologie der Verhältniswahl mehr oder minder unberührt<br />
ließen und nur die parlamentarische Mehrheitsbildung auf eine andere Grundlage<br />
stellten. Das beste Beispiel ist die Kombination von Verhältniswahl, Mehrheitsprämie<br />
und beschränkter Stimmgebung, wie sie den italienischen Gemeindewahlen<br />
von 1951/52 in den größeren Städten zugrunde lagen. Zwei Drittel der Sitze gingen<br />
an die größte Partei, oder an die größte Kombination verbundener Parteien; sie<br />
wurden in letzterem Falle unter den Koalitionspartnern nach den Grundsätzen der<br />
Verhältniswahl verteilt, wie auch die Minderheitssitze unter den verbleibenden<br />
Parteien im Verhältnis zu ihrer Stärke geteilt wurden. Das ergab nun zwar überall<br />
funktionsfähige Gemeindeparlamente, die einen erheblichen Kontrast zu dem darstellten,<br />
was sich mancherorts bei reiner Verhältniswahl ergeben hatte. Es hatte jedoch<br />
den entscheidenden Nachteil, daß über der Aufgäbe der parlamentarischen