Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Demokratie ohne Sicherheitsventil 159<br />
<strong>für</strong> Kino- und Theaterbesuch, die Zunahme des Konsums von Elektrizität usw 2 .<br />
Wer Italien wiederholt in den Nachkriegsjahren besucht hat, wird manche Anzeichen<br />
dieser Besserung beobachtet haben; wie etwa die auffallende Abnahme in<br />
der Zahl der Bettler zwischen dem Sommer 1950 und dem Frühjahr 1953. Die<br />
Sprecher der Mittelparteien unterließen es während des Wahlkampfes von 1953<br />
nicht, auf die vielfältigen Symptome der wirtschaftlichen Besserung hinzuweisen,<br />
aber der dadurch erzielte Eindruck war <strong>für</strong> sie enttäuschend.<br />
Dabei übersehen die Führer der Mittelparteien nicht, daß Italien von einer wirklichen<br />
Lösung seiner wirtschaftlichen und sozialen Probleme noch ein gutes Stück<br />
entfernt ist. Sie konnten jedoch darauf hinweisen, daß, zum erstenmal in der italienischen<br />
Geschichte, Reformmaßnahmen getroffen waren, die in ihrer Gesamtheit<br />
im Laufe der Zeit eine Reduzierung der sozialen Spannungen auf ein erträgliches<br />
Maß versprechen.<br />
Zunächst war es erforderlich, die Inflation zu beenden, von der Italien in den<br />
Nachkriegsjahren litt. Das vierte Kabinett De Gasperis, das keine Kommunisten<br />
mehr enthielt, konnte im September 1947 die entscheidenden Sanierungsmaßnahmen<br />
treffen; dabei hatte der damalige Finanzminister und spätere Präsident der<br />
Republik, Luigi Einaudi, die geistige Führung. Zunächst ergab sich ein Fall der<br />
Preise und ein Rückgang der Produktion. Zwischen März und September 1948<br />
stieg dann die Produktion langsam und irregulär, und Ende 1948 begann jener<br />
rasche Aufschwung, der sich im wesentlichen bis heute fortgesetzt hat. Bei allen<br />
später eingeleiteten Reformmaßnahmen ist De Gasperi auf die Aufrechterhaltung<br />
der Währungsstabilität in einem Umfang bedacht gewesen, der ihm gelegentlich<br />
auch Kritik aus den eigenen Reihen gebracht hat, heute jedoch allgemein als durch<br />
die Tatsachen gerechtfertigt betrachtet wird.<br />
Die dringendsten Aufgaben der Reformpolitik lagen auf dem Gebiet der Landwirtschaft.<br />
Die Schwierigkeiten, die sich hier <strong>für</strong> Italien aus Natur und Geschichte<br />
ergeben, sind bekannt. Die Folgen einer 2000 Jahre alten Fehlentwicklung ließen<br />
sich nicht innerhalb einer Legislaturperiode beseitigen. Insbesondere bestehen heute<br />
in Italien die fast unvorstellbaren Komplikationen, die sich aus der Divergenz von<br />
Besitz- und Betriebsverhältnissen ergeben; was uns in der Statistik als Großbesitz<br />
entgegentritt, zerfällt oft in eine Vielzahl kleiner und kleinster Parzellen, die von<br />
Pächtern oder Halbpartnern schlecht und recht bewirtschaftet werden 3 . Hinzu<br />
kommen die klimatischen und anderen Folgen der Entwaldung, und es sei nur<br />
kurz hinzugefügt, daß die zu Unrecht so oft gerühmte „Weizenschlacht" des Faschismus<br />
unter anderem die Folge hatte, daß Olivenhaine umgepflügt wurden und<br />
damit bisher vor der Erosion geschütztes Land ihr preisgegeben war.<br />
Unter solchen Umständen kann eine Bodenreform nicht einfach in der Art erfol-<br />
2 Für Einzelheiten siehe: Relazione Generale Sulla Situazione Economica Del Paese,<br />
Presentata Dal Ministro Del Bilancio (Vanoni) E Dal Ministro Del Tesoro (Gava) alla Presidema<br />
il 20. marzo 1954, Camera Dei Deputati, Doc. VIII, N. 1, S. 24.<br />
3 Für eine übersichtliche Behandlung dieser Komplikationen siehe Mario Einaudi, „The<br />
Italian Land: Men, Nature, and Government", Social Research, März 1950.