Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Demokratie ohne Sicherheitsventil 161<br />
letztlich alle Kosten sozialpolitischer Maßnahmen von der Wirtschaft getragen werden<br />
müßten 5 . Das alles gilt heute auch <strong>für</strong> Italien. Das landwirtschaftliche Einkommen<br />
stellt einen immer weiter zurückgehenden und sich heute auf wenig<br />
mehr als ein Fünftel belaufenden Teil des Volkseinkommens dar. Falls sich die in<br />
der italienischen Industrie gerade in den jüngsten Jahren erzielte Produktionsausweitung<br />
fortsetzt, so wird es genügen, in der Landwirtschaft und insbesondere in<br />
den landwirtschaftlichen Besitzverhältnissen die größten Mißstände zu beseitigen<br />
und sich im übrigen darauf zu verlassen, daß der in gewissen ländlichen Bezirken<br />
noch so drückende Bevölkerungsüberschuß im Laufe der Zeit von der Industrie<br />
absorbiert wird.<br />
Fortschritte in der industriellen und in der landwirtschaftlichen Technik gehen<br />
Hand in Hand; beide ziehen ihre Vorteile von Verbesserungen in den allgemeinen<br />
gesundheitlichen Verhältnissen. Gewisse bisher rückständige Gebiete Italiens, insbesondere<br />
im Süden und auf den Inseln, bieten heute einfach deswegen ein viel<br />
hoffnungsvolleres Bild, weil die Ausrottung der Malaria praktisch beendet ist. Nach<br />
gewissen Berechnungen könnte aus diesem Grunde Sardinien <strong>für</strong> Italien das darstellen,<br />
was früher überseeische Auswanderungsländer waren. In diesem Falle stellt<br />
der Konservatismus gewisser Gruppen, insbesondere der landwirtschaftlichen<br />
Eigentümer, das größte Hemmnis dar. Jedoch ist der wirtschaftliche Aufschwung im<br />
Süden und auf den Inseln im allgemeinen unverkennbar. Die prozentuale Zunahme<br />
von Produktion und Konsumtion liegt <strong>für</strong> Sizilien über dem Landesdurchschnitt;<br />
Catania wird heute von seinen Einwohnern mit Stolz „das Mailand des Südens" genannt.<br />
Nimmt man das Problem der rückständigen Gebiete als Ganzes, so darf man<br />
vielleicht daran erinnern, daß noch Mitte der 1930er Jahre der Süden der Vereinigten<br />
Staaten als der um den Nacken dieses Landes hängende große Mühlstein hingestellt<br />
wurde, während heute die wirtschaftliche Expansion nirgendwo so stark ist wie in<br />
den Südstaaten. Gewiß besteht zwischen den Möglichkeiten Italiens und denen der<br />
Vereinigten Staaten ein großer Unterschied, aber wer einige Zeit in Süditalien verbringt,<br />
kann heute mit eigenen Augen sehen, wie die wirtschaftliche und soziale<br />
Umgestaltung in Fluß kommt.<br />
Zeiten des Übergangs werden jedoch leicht Zeiten der Krise, selbst wenn sie<br />
Zeiten der Besserung sind. In Italien war zunächst mit der Unzufriedenheit derer<br />
zu rechnen, deren Land enteignet worden war. Die ihnen bewilligte Entschädigung<br />
lag im allgemeinen unter dem Marktpreis, und die fünfprozentigen Regierungsbonds,<br />
die sie erhielten, waren nicht dasselbe wie eine Barzahlung. Im Jahre 1948<br />
hatten diese Großgrundbesitzer im wesentlichen <strong>für</strong> die „Democrazia Cristiana" gestimmt.<br />
Ihr Einfluß trug dazu bei, die Reform zu verzögern und deren Ausmaß zu<br />
verringern; trotzdem konnte diese Gruppe als Ganzes nicht zufriedengestellt werden.<br />
War dieses Resultat zu erwarten, so war doch die Enttäuschung groß, als sich herausstellte,<br />
daß bei den ärmeren Volksschichten, zu deren Gunsten diese Maßnahmen<br />
5 Die auch in Italien zahlreich vertretenen Anhänger von John Maynard Keynes teilen,<br />
wie bekannt, diese Auffassung nicht. Es ist nicht möglich, hier auf die Keynesschen Argumente<br />
einzugehen, siehe F. A. Hermens, Der Staat und die Weltwirtschaftskrise, Wien 1936, S. 217S.<br />
<strong>Vierteljahrshefte</strong> 2/4