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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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168 Ferdinand A. Hermens<br />

Mehrheitsbildung die der Meinungsbildung im Volke vernachlässigt wurde. Wie<br />

jüngst Duverger mit besonderem Nachdruck betont hat 1 *, nimmt das Wahlrecht<br />

unter den Faktoren, welche eine an sich undeterminierte und flüssige öffentliche<br />

Meinung in eine einigermaßen greifbare Form bringen, eine wichtige Stelle ein.<br />

Die Mehrheitswahl zwingt den Wähler in eine Fragestellung, welche eine Übernahme<br />

klarer Verantwortung und zugleich eine nicht leicht zu übersehende Einladung<br />

zur Mäßigung enthält, da es ja in den entscheidenden Wahlkreisen von dem<br />

keiner Partei hörigen und daher allem Parteifanatismus abholden Grenzwähler abhängt,<br />

wem die Palme des Sieges überreicht wird, und wer den Kelch der Niederlage<br />

leeren muß. Bei Verhältniswahl dagegen können relativ kleine Gruppen in völliger<br />

Unabhängigkeit voneinander ein gesondertes Leben führen, was dem Extremismus<br />

auch in relativ friedlichen Zeiten die Möglichkeit der weiteren Existenz garantiert,<br />

und ihn in unruhigen Zeiten zum Nutznießer alles Unwillens prädestiniert.<br />

Wenn auch in den Gemeindewahlen von 1951/52 der Linken die Macht in der<br />

Mehrzahl der Städte entrungen wurde, in der sie diese in den Wahlen von 1946 erlangt<br />

hatte, so war doch zugleich ein bedeutender Rückgang des Stimmanteils der<br />

Christlichen Demokraten eingetreten, von dem Kommunisten und Linkssozialisten<br />

und mehr noch die Monarchisten und die Neofaschisten (MSI) ihre Vorteile zogen.<br />

Nunmehr konnte ein jeder sich errechnen, daß bei Neuwahlen unter Verhältniswahl<br />

die Regierungsbildung bestenfalls schwierig und schlimmstenfalls unmöglich<br />

sein würde; nach gewissen Statistiken hatten die kombinierte Rechte und Linke in<br />

den Provinzialwahlen mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten. Aus diesen Beobachtungen<br />

zog der greise, aber immer noch aktive Don Sturzo einen Schluß, den<br />

vor ihm andere Vertreter der Verhältniswahl gezogen haben: daß dieses Wahlrecht<br />

nicht mehr zu verteidigen sei, wenn es einer extremen Linken und Rechten die<br />

Möglichkeit gäbe, die Demokratie von innen her zu vernichten. Zusammen mit<br />

anderen, wie Croce und Orlando, setzte er sich <strong>für</strong> die Rückkehr zur Mehrheitswahl<br />

im Einerwahlkreis mit Stichwahl ein. Die Verhandlungen der Parteileitungen<br />

verliefen jedoch in anderen Bahnen, insbesondere weil die kleineren gemäßigten<br />

Parteien nicht gewillt waren, ein Wahlrecht einzuführen, von dem sie, mit Recht<br />

oder Unrecht, be<strong>für</strong>chteten, daß es ihre Existenz bedrohe.<br />

So einigten sich denn der Innenminister Scelba und, als Wortführer der kleineren<br />

Parteien, der Republikaner LaMalfa, auf jenes Gesetz, das der Partei oder Parteienkoalition,<br />

die mehr als 50 Prozent der Stimmen erreichte, 380 von insgesamt 590<br />

Sitzen zusprach. Die hinter diesem Gesetz stehende Theorie lief darauf hinaus, daß<br />

man es der tatsächlichen Mehrheit des Volkes ermöglichen müsse, im Parlament<br />

zu regieren, ohne sich dauernd organisierter Obstruktion ausgesetzt zu sehen.<br />

De Gasperi 15 wies später insbesondere darauf hin, daß die parlamentarischen Geschäftsordnungen<br />

Italiens zu einer Zeit entstanden seien, als die Mehrheitswahl in Gel-<br />

14 Maurice Duverger, Le Partis Politiques, Paris 1951, S. 409ff.<br />

15 Siehe seinen Bericht auf dem Neapeler Kongreß seiner Partei; er wurde im vollem<br />

Wortlaut abgedruckt in der Tageszeitung „II Popolo" vom 28. Juni 1954.

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