(Hrsg.) Geheime Trefforte des MfS in Erfurt - Stasi in Erfurt
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ORTE DES VERRATES 65<br />
Obgleich e<strong>in</strong>ige Mitglieder der Interessengeme<strong>in</strong>schaft „Umweltschutz/Umweltgestaltung“,<br />
die 1984 im <strong>Erfurt</strong>er Kulturbund gegründet worden war, kirchlich gebunden<br />
waren und <strong>in</strong> ihrer Studentenzeit der evangelischen und/oder katholischen<br />
Studentengeme<strong>in</strong>de angehört hatten, wählten sie ganz bewusst die staatich e<strong>in</strong>geräumte<br />
Möglichkeit zu umweltschützerischem Engagement und suchten e<strong>in</strong>en öffentlichen<br />
Rahmen für Diskussionen. Wie schon angedeutet, bestanden Kontakte<br />
zum „Hauskreis Plicht“. Neben <strong>in</strong>haltlichen Differenzen 66 wussten die IG-Mitglieder<br />
von der Krim<strong>in</strong>alisierung kirchlicher Aktivitäten durch das <strong>MfS</strong>, dem sie sich<br />
mit dem Schritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e staatlich <strong>in</strong>itiierte und damit kontrollierte Umweltschutzruppe<br />
entziehen wollten. 67 Die Mitglieder vom „Hauskreis Plicht“ h<strong>in</strong>gegen befürchteten<br />
e<strong>in</strong>e zu massive <strong>Stasi</strong>-Infiltration <strong>in</strong> dieser Suborganisation <strong>des</strong> Kulturbun<strong>des</strong>.<br />
Andere Orte, an denen sich Andersdenkende zusammenfanden, waren das Theater,<br />
die Oper und das Kabarett mit der Puppenbühne. In fast allen ostdeutschen Städten<br />
wird man auf den besonderen Beobachtungsschwerpunkt der Staatssicherheit auf<br />
diese kulturellen E<strong>in</strong>richtungen stoßen. In <strong>Erfurt</strong> geriet etwa der Kabarettist Ulf<br />
Annel unter staatssichernde Observierung.<br />
Neben den schon genannten Anlaufpunkten wurden zunehmend auch bestimmte<br />
Cafés von Andersdenkenden aufgesucht. Dies waren das „Angereck“, das „Marktkaffee“,<br />
„Café Györ“ und das Café „Venedig“. Hier trafen sich vor allem Jugendliche,<br />
Musiker, vermutlich e<strong>in</strong>ige der freischaffenden Künstler und Gewerbetreibenden,<br />
Angehörige kirchlicher Basisgruppen und nicht zuletzt diejenigen, die e<strong>in</strong>en<br />
Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR gestellt hatten. Somit schien es aus sicherheitspolitischer<br />
Perspektive naheliegend, sich vor Ort über deren Ziele und Absichten<br />
zu <strong>in</strong>formieren. Das Informationsbedürfnis versuchten die Mitarbeiter <strong>des</strong><br />
<strong>MfS</strong> durch kellnernde IM und regelmäßige Café-Besuche anderer IM zu stillen. 68<br />
Stephan Schnitzler zufolge engagierten sich <strong>in</strong> den 1980er Jahren ca. 200 <strong>Erfurt</strong>er<br />
Bürger außerhalb der staatlich vorgegebenen Institutionen und Organisationen, dies<br />
waren somit nur 0,1 % der <strong>Erfurt</strong>er Stadtbevölkerung. 69 Aufgrund der günstigen<br />
personellen Konstellation <strong>in</strong> der evangelischen Pfarrschaft und der Kirchleitung hatten<br />
sich <strong>in</strong>nerhalb der Kirche zahlreiche Freiräume für politisch kritische Aktionen<br />
ergeben, <strong>in</strong> denen vor allem „sozialethische Themen“ diskutiert wurden. Ke<strong>in</strong>er der<br />
Anwesenden stellte die DDR grundsätzlich <strong>in</strong> Frage.<br />
66<br />
Zum Verhältnis der Gruppen untere<strong>in</strong>ander vgl. Pollack, Protest, a.a.O., S. 189f.<br />
67<br />
Vgl. Michelmann, a.a.O.<br />
68<br />
BStU, <strong>MfS</strong>, KD <strong>Erfurt</strong>, AIM 1373/89, Blatt 21 und 22, AIM 1009/87.<br />
69<br />
Hierzu und im Folgenden vgl. Schnitzler, a.a.O., S. 280.