FACHVERBAND PHILOSOPHIE Mitteilungen
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Textlinguistik, z. B. den Sprachwissenschaftler und Strukturalisten H. Weinrich, der<br />
abstrakte grammatische Phänomene der Verblehre, so die Tempuswahl, durch die erhellende<br />
Metapher der „Reliefgebung“ veranschaulicht. 8 Er spricht z. B. im Zusammenhang<br />
mit den französischen Tempusformen der Vergangenheit („imparfait“ oder<br />
„passé simple / composé“) von der Wahl eines Vordergrund- und Hintergrundtempus,<br />
je nachdem, ob es sich in der Vorlage um einen Zustand und eine andauernde Handlung<br />
(„...il pleuvait depuis trois jours ...“) oder um eine neu eintretende und punktuell<br />
abgeschlossene Handlung handelt. („Tout à coup le soleil se leva.“)<br />
Diese grammatischen und semantischen Unterscheidungen legen für Weinrich eine<br />
Reliefgebung oder auch Dramatisierung von Texten in Form einer Bühnen- oder Theatermetaphorik<br />
nahe : Vorder- und Hintergrundtempus, das sind Protagonisten, Aktionen,<br />
Dialoge einerseits und Kulisse, Bühnenbild und Bühnenraum andererseits.<br />
Textpartien wären somit nach ihrem jeweiligen dramatischen Wert, z. B. Spannung,<br />
Klimax, Retardation, grammatisch und stilistisch zu differenzieren. Das Denkmuster<br />
einer zweidimensionalen Textoberfläche, die es chronologisch linear, als eine sequentiell<br />
abrufbare Information zu lesen gilt, hat damit zwar noch für die Zeichenfolge Gültigkeit,<br />
nicht aber für das von ihr Bezeichnete, das durch die Schriftzeichen semantisch<br />
Dargestellte.<br />
Den Begriff der „Figur“ verwendet die Didaktik schon seit längerem, so im Zusammenhang<br />
mit „Unterrichtsfiguren“, „Bauformen“, die K. Prange 9 in seiner Unterrichtslehre<br />
entwirft und die figurative Modelle von Unterricht mit je eigenen Artikulationsschemata<br />
darstellen. (1983, 184) Vor allem aber ist J. Grzesik zu nennen, der den pädagogischkognitionspsychologischen<br />
Begriff der „mental models“ 10 verwendet, die der Rezeption<br />
und dem Verstehen von Texten, im engeren Sinne dem Lernen von Begriffen und<br />
Begriffszusammenhängen dienen. Geordnete Informationsverarbeitung entsteht bei<br />
Texten nach diesem empirisch-psychologischen Ansatz durch eben diese „mental<br />
models“, topologische Interpretationsmuster der Interpreten. Grzesik behauptet eine<br />
funktionelle Komplementarität von Wort und Bild im Prozess der Analyse des Textes<br />
durch den Leser. Er bezeichnet den „figurativen Modus“ als notwendige Ergänzung zu<br />
dem „sequentiellen analytisch-synthetischen“ Format des Sprachmediums. (1990,91 f)<br />
Vorzüge der bildlichen gegenüber der sprachlichen Repräsentation sind demnach vor<br />
allem höhere Ökonomie, Integrationsleistung und Übersichtlichkeit der Darstellung<br />
durch die simultane und ganzheitliche Verbildlichung im Unterschied zur sequentiellen<br />
Anordnung. Lernpsychologisch begünstigt und fördert dies Aufmerksamkeit, Verstehen<br />
und Behalten. (H. Engels) 11<br />
3.2 Text als Bildwerk<br />
Unter der Vorstellung „Textfigur“ im Philosophieunterricht, die hier zu entwerfen ist,<br />
soll das Phänomen Text (im Rahmen eines textlinguistischen Textbegriffs nach Weinrich,<br />
d.h. Text verstanden als komplexes Geflecht immanenter Strukturen) wie folgt gefasst<br />
werden:<br />
Texte stellen dasjenige sprachliche Medium dar, durch das mehrdimensionale, komplexe<br />
begriffliche Strukturen repräsentiert werden, die häufig hierarchisch oder komplementär,<br />
zum Teil auch analog oder antithetisch zu einander arrangiert sind. Sie ergänzen<br />
und durchdringen einander, sind Teil eines Geflechts, eines Netzwerkes,<br />
das„unterhalb der Textoberfläche“ angelegt ist und als so genannte „Struktur“ durch<br />
den Rezipienten (wie ehedem den Autor selbst) allererst zu entdecken bzw. zu konstruieren<br />
ist. Entscheidend ist dabei die Vorstellung, dass Texte nicht simpel lineare<br />
und eindimensionale Gebilde sind. Als Prämisse gilt vielmehr die These von der<br />
Mehrdimensionalität von Texten, welche allererst deren figurative Darstellung erlaubt.<br />
Dies gilt, wie die Anwendung zeigen wird, überraschenderweise auch und gerade für<br />
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