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FACHVERBAND PHILOSOPHIE Mitteilungen

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26<br />

Textlinguistik, z. B. den Sprachwissenschaftler und Strukturalisten H. Weinrich, der<br />

abstrakte grammatische Phänomene der Verblehre, so die Tempuswahl, durch die erhellende<br />

Metapher der „Reliefgebung“ veranschaulicht. 8 Er spricht z. B. im Zusammenhang<br />

mit den französischen Tempusformen der Vergangenheit („imparfait“ oder<br />

„passé simple / composé“) von der Wahl eines Vordergrund- und Hintergrundtempus,<br />

je nachdem, ob es sich in der Vorlage um einen Zustand und eine andauernde Handlung<br />

(„...il pleuvait depuis trois jours ...“) oder um eine neu eintretende und punktuell<br />

abgeschlossene Handlung handelt. („Tout à coup le soleil se leva.“)<br />

Diese grammatischen und semantischen Unterscheidungen legen für Weinrich eine<br />

Reliefgebung oder auch Dramatisierung von Texten in Form einer Bühnen- oder Theatermetaphorik<br />

nahe : Vorder- und Hintergrundtempus, das sind Protagonisten, Aktionen,<br />

Dialoge einerseits und Kulisse, Bühnenbild und Bühnenraum andererseits.<br />

Textpartien wären somit nach ihrem jeweiligen dramatischen Wert, z. B. Spannung,<br />

Klimax, Retardation, grammatisch und stilistisch zu differenzieren. Das Denkmuster<br />

einer zweidimensionalen Textoberfläche, die es chronologisch linear, als eine sequentiell<br />

abrufbare Information zu lesen gilt, hat damit zwar noch für die Zeichenfolge Gültigkeit,<br />

nicht aber für das von ihr Bezeichnete, das durch die Schriftzeichen semantisch<br />

Dargestellte.<br />

Den Begriff der „Figur“ verwendet die Didaktik schon seit längerem, so im Zusammenhang<br />

mit „Unterrichtsfiguren“, „Bauformen“, die K. Prange 9 in seiner Unterrichtslehre<br />

entwirft und die figurative Modelle von Unterricht mit je eigenen Artikulationsschemata<br />

darstellen. (1983, 184) Vor allem aber ist J. Grzesik zu nennen, der den pädagogischkognitionspsychologischen<br />

Begriff der „mental models“ 10 verwendet, die der Rezeption<br />

und dem Verstehen von Texten, im engeren Sinne dem Lernen von Begriffen und<br />

Begriffszusammenhängen dienen. Geordnete Informationsverarbeitung entsteht bei<br />

Texten nach diesem empirisch-psychologischen Ansatz durch eben diese „mental<br />

models“, topologische Interpretationsmuster der Interpreten. Grzesik behauptet eine<br />

funktionelle Komplementarität von Wort und Bild im Prozess der Analyse des Textes<br />

durch den Leser. Er bezeichnet den „figurativen Modus“ als notwendige Ergänzung zu<br />

dem „sequentiellen analytisch-synthetischen“ Format des Sprachmediums. (1990,91 f)<br />

Vorzüge der bildlichen gegenüber der sprachlichen Repräsentation sind demnach vor<br />

allem höhere Ökonomie, Integrationsleistung und Übersichtlichkeit der Darstellung<br />

durch die simultane und ganzheitliche Verbildlichung im Unterschied zur sequentiellen<br />

Anordnung. Lernpsychologisch begünstigt und fördert dies Aufmerksamkeit, Verstehen<br />

und Behalten. (H. Engels) 11<br />

3.2 Text als Bildwerk<br />

Unter der Vorstellung „Textfigur“ im Philosophieunterricht, die hier zu entwerfen ist,<br />

soll das Phänomen Text (im Rahmen eines textlinguistischen Textbegriffs nach Weinrich,<br />

d.h. Text verstanden als komplexes Geflecht immanenter Strukturen) wie folgt gefasst<br />

werden:<br />

Texte stellen dasjenige sprachliche Medium dar, durch das mehrdimensionale, komplexe<br />

begriffliche Strukturen repräsentiert werden, die häufig hierarchisch oder komplementär,<br />

zum Teil auch analog oder antithetisch zu einander arrangiert sind. Sie ergänzen<br />

und durchdringen einander, sind Teil eines Geflechts, eines Netzwerkes,<br />

das„unterhalb der Textoberfläche“ angelegt ist und als so genannte „Struktur“ durch<br />

den Rezipienten (wie ehedem den Autor selbst) allererst zu entdecken bzw. zu konstruieren<br />

ist. Entscheidend ist dabei die Vorstellung, dass Texte nicht simpel lineare<br />

und eindimensionale Gebilde sind. Als Prämisse gilt vielmehr die These von der<br />

Mehrdimensionalität von Texten, welche allererst deren figurative Darstellung erlaubt.<br />

Dies gilt, wie die Anwendung zeigen wird, überraschenderweise auch und gerade für<br />

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