35 FIGUR 4 APORIE – GEDANKENEXPERIMENT 2 (Der Strudel des Nihilismus) Methode: Potenzierung der Reflexion und Perpetuierung des Zweifels (das „Spiegelkabinett“) durch Selbstanwendung auf das Subjekt des Zweifelns; „Regressus ad infinitum“ Zweck/ Motivation: Äußerste Anspannung; Zuspitzung der Denkprovokation durch die zynische Vorstellung der Negation des Ichs (extremste Form des Selbstexperiments); Gorgias: Es gibt nichts – Descartes: Nicht einmal mich! FIGUR 5 LÖSUNG DES KNOTENS („Deus ex machina“) Methode: Abweis des infiniten Regresses (der Katastrophe des Ich) und Selbstvergewisserung des Zweifelnden Im Akt des Zweifelns selbst Zweck/ Motivation: Entspannung, Auflösung, Befreiung vom Selbstexperiment des methodischen, radikalen und universalen Zweifels 6.2 Sartre, Existentialismus Sartres Aufsatz: „Ist der Existentialismus ein Humanismus?“ 17 (Vortrag: L’existentialisme est un humanisme, Paris 1945, Maintenant-Club; deutsch: 1975) kann zu den Klassikern des Philosophieunterrichts gezählt werden, nimmt man die Häufigkeit seiner Behandlung in den verschiedenen Jahrgangsstufen als Grundlage. Mögliche Gründe liegen in der Anschaulichkeit und der immanenten Didaktisierung dieses Textes, der mit einem einprägsamen Beispiel, besser, einer Analogie (Mensch – Papiermesser), induktiv einsetzt und die habituelle Schrittfolge der Lernprogression einhält: Vom Einfachen, Bekannten, (Essenz-These der Tradition) zum Schwierigen, Neuen (Sartres Existenz-These). Zudem ist der Text relativ voraussetzungslos (historische Verweise sind ggf. eliminierbar) und damit anspruchslos. Kultureller und zeitgeschichtlicher Deutungshintergrund ist die existentialistische Strömung im Paris der Nachkriegszeit. Diese ist den Schülern wie schon das „Papiermesser“ („le coupepapier“), unerlässliches Handwerkszeug des Intellektuellen, weitgehend unbekannt und dennoch nicht auszublenden. Schwierigkeiten bietet auch die Figur der Analogie. Zu dem Unterrichtsthema: „Die Umkehrung der traditionellen Pole ’Essenz’ und ’Existenz’ in Sartres philosophischer Anthropologie“ werden Schüler der Stufe 11 nach vorläufiger Präparation der Begriffe „Essenz“ und „Existenz“ (Arbeitsdefinitionen: Synonyma im Text und eigene Paraphrasen) zu individuellen Versuchen der Veranschaulichung, grafischen Strukturierung der Textpassage, aufgefordert (vgl. Abb 4). Den Schülern, die derartige Verfahren nicht erstmalig erproben, wird als methodisches Ziel eine „einprägsame und allgemeinverständliche“ Darstellung vorgegeben, die auch „nach Wochen“ noch nachvollziehbar“ sein soll. Dazu gelten, als Konsequenz aus früheren, z. T. sehr verwirrenden und letztlich kontraproduktiven Ansätzen, gewisse formale Regeln, die im wesentlichen dem allgemeinen Verständnis und einer dauerhaften Sicherung der Ergebnisse dienen: • einfache, übersichtliche Anlage (Format DIN-A 4) • sparsamer verbaler Anteil • eindeutige Verwendung von Zeichen/Symbolen Eine enge thematische Leitung ist durch den überschaubaren Text ohnehin gegeben. Diese ist allerdings unverzichtbar, da ansonsten lediglich eine „ungeregelte Evokation“ von „wuchernden“ Vorstellungen, jedoch kein produktiver methodischer Effekt zu erzielen ist. (Grzesik, 1990, 247) Figurative Vielfalt hingegen ist ausdrücklich erwünscht. Die Aufgabe soll gerade in Ergänzung zum analytischen Modus begrifflicher Anstrengung eine Herausforderung für Assoziation, Imagination, formales Gestalten und Kreativität darstellen. Die Schüler sollen Texte und damit philosophische Ideen “anschaulich begreifen“ lernen. MITTEILUNGEN 45/2005
Abb. 3: Descartes’ 1. Meditation - Schema komplementärer Textfiguren 36 <strong>FACHVERBAND</strong> <strong>PHILOSOPHIE</strong> E.V.