echt & <strong>gesellschaft</strong>die Bestätigung und Konkretisierungdes bislang vom EuGH aus Art 6 Abs2 EUV ermittelten Grund<strong>recht</strong>sbestandeserheblichen Bestimmung 18 desals „Grund<strong>recht</strong>echarta“ bekannt gewordenenTeils II des VVE sind Diskriminierungen„insbesondere wegendes Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe,der ethnischen oder sozialenHerkunft, der genetischen Merkmale,der Sprache, der Religion oder derWeltanschauung, der politischen odersonstigen Anschauung, der Zugehörigkeitzu einer nationalen Minderheit, desVermögens, der Geburt, einer Behinderung,des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“und wegen der Staatsangehörigkeit(Abs 2) verboten. 19 Aufgrundder nicht enumerativen Aufzählungder verpönten Gründe für Ungleichbehandlungen(arg „insbesondere“) könnenauch Ungleichbehandlungen ausanderen als den erwähnten Gründen(zB Nikotinsucht) dem sachlichen Anwendungsbereichvon Art II-81 VVEunterfallen.Bei der Frage, ob Ungleichbehandlungeneiner Rechtfertigung zugänglichsind, ist zu differenzieren. Die Namhaftmachungeines sachlichen Grundes wirdbei bestimmen Merkmalen (Behinderung,Alter) als Rechtfertigung denkbarsein; bei anderen Merkmalen, namentlichRasse, ethnischer Herkunft und sexuellerAusrichtung, werden vorgebrachteRechtfertigungen indes in der Regel alsper se unsachlich zurückzuweisen sein.An die Prüfung der Sachlichkeit hat einerigide Verhältnismäßigkeitsprüfung desRechtfertigungsgrundes anzuschließen,in deren Rahmen geklärt wird, ob diepunktuelle Ungleichbehandlung zumSchutze anderer gemeinschafts<strong>recht</strong>lichgeschützter Güter unerlässlich ist. 203.2. Nikotinsucht als Krankheit oderBehinderungNeben dem Rückgriff auf die Grund<strong>recht</strong>echartaund ihre offene Konzepti-sich bei Deutung von Nikotinsucht alsKrankheit bzw Behinderung weitere Begründungswegefür eine Un<strong>recht</strong>mäßigkeitder Rauchendendiskriminierung.Erstens lässt sich ausgehend von derFeststellung, dass Nikotinsucht Krankheitswerthat und mithin trotz der regelmäßigenBeteuerung von Rauchenden,sie griffen aus persönlicher Entscheidungzur Zigarette, eine Krankheit kausalfür das Rauchen ist, argumentieren,dass Rauchende dem formal unverbindlichenaber <strong>recht</strong>serheblichen Art II-81VVE unterfallen. Da Art II-81 VVE,wie oben ausgeführt, die verbotenenDiskriminierungstatbestände nicht enumerativaufzählt, kann die Diskriminierungaufgrund einer Krankheit alsungeschriebener Tatbestand hineingelesenwerden. 21 Sollte das Rauchen selbsttrifft dies auf die in einem kausalenNexus stehenden Folgeerkrankungen 22regelmäßig zu. Die negativen gesundheitlichenFolgen des Rauchens zeitigendaher grund<strong>recht</strong>sdogmatisch das positiveErgebnis eines erhöhten Diskriminierungsschutzesfür Rauchende.In diesem Zusammenhang kann dieFrage gestellt werden, was Nikotinsuchtvon anderen Zivilisationskrankheitenunterscheidet. Das von dem irischenCall Center vorgebrachte Argument,Rauchende würden aufgrund des vonihnen ausgehenden starken Tabakgeruchsdas Arbeitsklima negativ beeinträchtigen,kann nur begrenzt <strong>recht</strong>lichreleviert werden. Auch Stellenanzeigen,die Personen mit palmarer, plantareroder axillärer Hyperhidrose 23 ex anteausschließen, würden wohl als diskriminierendwahrgenommen werden.Zweitens könnte Nikotinsucht als„Behinderung“ iSd Art 13 Abs 1 EGVund des Art II-81 VVE interpretiertwerden. Während dies prima facie abwegigerscheint, lassen sich dem Rechtmancher Mitgliedstaaten durchaus entsprechendeHinweise entnehmen. Dasirische Gleichheitstribunal („EqualityTribunal“), welches auch im Falle einerBeschwerde eines abgelehnten Rauchendengegen das Call Center „DotcomDirectories“ sachlich kompetentgewesen wäre, hat mehrfach festge- lity“in den Employment Equality Actsvon 1998 und 2004 sehr breit sei. 24Personen, die an Alkoholsucht leiden,seien ebenso als „disabled“ iSd irischenAntidiskriminierungsregeln zu betrachten25 wie Arbeitswerbende, die in einemMaße übergewichtig sind, dass einekrankhafte Adipositas vorliegt. 26 Nachder irischen Rechtsordnung ist es dahernicht gänzlich undenkbar, dass aucheine besonders schwere Nikotinsuchtals Behinderung angesehen wird.Erstmals äußerte sich der EuGH imFall Chacón Navas 27 zum Begriff derBehinderung im Sinne der RL 2000/78/EG über die Gleichbehandlung in Beschäftigungund Beruf. Die GroßeKammer führte aus, das „Behinderung“Bestimmung aber auch nicht in das innerstaatlicheRecht verweise, weshalbder Begriff autonom und einheitlichauszulegen sei. 28 „Behinderung“ imSinne der RL umfasse eine „Einschränkung,die insbesondere auf physische,geistige oder psychische Beeinträchtigungenzurückzuführen ist und die ein18) Calliess führt unter Bezugnahmeauf GA Tizzano (NZA2001, 827, Rn 26 ff) aus, dassdie Grund<strong>recht</strong>scharta ungeachtetihrer formalen Unverbindlichkeitaufgrund ihrer feierlichen Bestätigungdurch den EuropäischenRat von Nizza, das EuropäischesParlament, den Rat und die Kommissionin grund<strong>recht</strong>srelevantenVerfahren „nicht mehr ignoriertwerden kann“ (Calliess in Ehlers,EuGR (2005) § 20 Rn 35).19) Hervorhebung durch den Verf.20) Kingren in Ehlers, EuGR(2005) § 18 Rn 19.21) Diese Argumentation wirdbestätigt durch Parallelen im nationalenRecht. Nach österreichischemArbeits<strong>recht</strong> etwa istes dem Arbeitgeber im Rahmenvon Bewerbungsgesprächen nichtgestattet, nach Krankheiten zufragen, die keinen unmittelbaren Auf welche Krankheiten dies zutrifft,ist im Rahmen einer Abwägungzwischen den Persönlichkeits<strong>recht</strong>en(§§ 16 ff ABGB) desArbeitnehmenden und den Informationsinteressendes Arbeitgebendenzu beurteilen. So auchReissner, Arbeits<strong>recht</strong> (2003)127, der ein Frage<strong>recht</strong> nach demGesundheitszustand nur dannbejaht, wenn eine Gesundheitsgefährdungfür andere Personenim Arbeitsbereich des erkranktenArbeitnehmenden besteht.22) ZB Lungen-, Mundhöhlen-,Kehlkopf- oder Luftröhrenkrebs,Arteriosklerose oder erhöhteSchlag- oder Herzanfallneigung.23) Das Krankheitsbild einer fokalenHyperhidrose besteht in dererhöhten Schweißproduktion anbestimmten Körperregionen, zB(plantar) („Schweißfüße“) undAchseln (axillär), was zu einem bemerkbarenSchweißgeruch führenkann (vgl http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/hyperhidrose.htm(15.1.2007)).24) Legal Island, Can Irish EmployersLawfully Advertise forNon-Smokers Only?, http://www.legal-island.com/employment/news_details.cfm?news_key=736&website_key=1 (11.8.2006).25) Irish Equality Tribunal, AComplainant v Café Kylemore,DEC-S2002/024.26) Irish Equality Tribunal, AHealth Service Employee v HSE,DEC-E2006/013.27) EuGH 11.7.2006, Rs C-13/05,Sonia Chacón Navas v Eurest ColectividadesSA.28) EuGH, Chacón Navas, Rn 39-40, 42.<strong>juridikum</strong> 2007 / 2 Seite 69
echt & <strong>gesellschaft</strong> Rauchen im Recht Tel.: 01- 610 77 - 315, Fax: - 589order@verlagoesterreich.atwww.verlagoesterreich.atHindernis für die Teilhabe des Betreffendenam Berufsleben bildet.“ 29als Behinderte iSd Gemeinschafts<strong>recht</strong>shätte zur Folge, dass diese in den Genusseiner besonderen gleichheits<strong>recht</strong>lichenGewährleistung kämen, die in derGrund<strong>recht</strong>echarta sogar den Charaktereines derivativen Teilhabe<strong>recht</strong>s 30 annimmt.Nach Art II-86 VVE über dieIntegration von Menschen mit Behinderunganerkennt und achtet die Unionden Anspruch dieser Personen aufMaßnahmen zur Gewährleistung ihrerEigenständigkeit, ihrer sozialen und be-nahmeam Leben der Gemeinschaft.Indes kann der Einschließung vonRauchenden in den Behindertenbegriffentgegen gehalten werden, dass nichtder Nikotingenuss selbst die Behinderteneigenschaftbewirken kann, sonderndie mit ihm zusammenhängenden Folgeerkrankungen,die bei einer gewissenSchwere durchaus Ursache von Behinderungensein können.4. ConclusioIn Artikel 8 der Rahmenkonventionüber Tabakkontrolle der Weltgesundheitsorganisation(WHO) 31 tensich die Vertragsstaaten to „adoptand implement […] effective legislative,executive, administrative and/orother measures, providing for protectionfrom exposure to tobacco smokein indoor workplaces, public transport,indoor public places and, as appropriate,other public places.” Die weltweit138 Vertragsstaaten, darunter auchÖsterreich, das die Konvention am 32 sind trotz des„Rahmen“-Charakters der Konventionangehalten, die Verwirklichung derfestgeschriebenen Ziele anzustreben. anderen Verträgen, namentlich jenen,die Antidiskriminierungsregeln festschreiben.Während daher der Schutz der Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer vorpassivem Rauchen im Lichte der WHO-Rahmenkonvention und der Gesundheitspolitikgeboten ist, sind die Rechtevon Rauchenden bei der Aufnahme vonBeschäftigungsverhältnissen ebenfalls inAnschlag zu bringen. Rauchende ex antevon Job-Bewerbungen auszuschließen,widerspricht dem Geist des europäischenAntidiskriminierungsregimes. Mit einigerBe<strong>recht</strong>igung kann auch argumentiertwerden, dass es den Lettern widerspricht:Einerseits ist die offene Konzeptionder Diskriminierungsgründe in ArtII-81 VVE zu relevieren, andererseitskann Nikotinsucht als Krankheit oder,in schwerwiegenden Fällen, als Behinderunggedeutet werden.Das politische Klima steht aktuelldem Konzept der Raucherdiskriminierungeher kritisch gegenüber. In-29) EuGH, Chacón Navas, Rn 43.30) Kingreen in Ehlers, EuGR(2005) § 18 Rn 55.31) WHO Framework Conventionon Tobacco Control idF WorldHealth Assembly Resolution 56.1v 21.5.2003, Datum des Inkrafttretens:27.5.2005, http://www.who.int/tobacco/framework/download/en/index.html(30.10.2006).32) WHO, Updated Status of theWHO Framework Convention onTobacco Control, http://www.who.int/tobacco/framework/countrylist/en/index.html(15.9.2006).Seite 70 <strong>juridikum</strong> 2007 / 2