themasexarbeitNach neueren Schätzungen ist der Wirtschaftsfaktor Prostitutionin Deutschland durchaus beachtlich. Der Umsatzliegt bei 14,5 Mrd. Euro jährlich. Das entspricht nahezudem Umsatz der Karstadt Quelle AG mit 15,2 Mrd. oderder MAN AG mit 15,0 Mrd. Euro. 1 Dennoch ist das Thema– auch nach der Legalisierung im Jahr 2002 – weiterhin einTabu. Nur an wenigen Universitäten wird es überhaupt zuKenntnis genommen, darüber gelehrt oder geforscht. DieBigotterie und Doppelmoral im Umgang mit Prostitutionund den handelnden Subjekten, den Prostituierten, wirdnicht nur in der Politik deutlich – wo Krokodilstränen überdie Opfer von Frauenhandel vergossen werden, während diegleichen konservativen Kreise die Rechte für Prostituiertewieder zurückschneiden wollen. Sie ist auch im Bereichder Wissenschaften zu erkennen, wo das Themaentweder ignoriert oder immer noch als deviantesHandeln von Seiten der Prostituierten stigmatisiertwird. Bereits August Bebel beschrieb und kritisiertedie Doppelmoral der »hohen Herren« in Deutschland,die regelmäßig in den Bordellen anzutreffenwaren, Ende des 19. Jahrhunderts folgendermaßen:„Da gehen Minister, hohe Militärs, Volksvertreter,Richter usw. neben den Repräsentanten der Geburts-, Finanz-, Handels- und Industriearistokratie ausund ein, Männer, die am Tag und in der Gesellschaftals Vertreter und Wächter von Moral, Ordnung, Eheund Familie gar würdevoll einherschreiten ... und ander Spitze der Vereine zu Unterdrückung der Prostitutionstehen.“ 2Für die neuere Geschichte seit Beginn des 20. Jahr- Schulte in ihren Buch Sperrbezirke 1979 zusammengetragenwurden, die eine gezielte Kriminalisierung und Stigmatisierungder Prostituierten als staatliche Strategie nachweisen.So wurde 1902 in Berlin eine Polizeivorschrift erlassen, diees den Prostituierten untersagte, eben auf den Straßen undPlätzen tätig zu werden, wo sich die Prostitution gerade ammeisten ausbreitete. Dadurch wurden die Orte, an denen Prostitutionstattfand, identisch mit kriminalisiertem Raum. DiePolizeivorschriften sollten der Polizei die totale Kontrolleder Prostituierten ermöglichen. Durch Individualisierung undPathologisierung „wird es der einmal kriminell gewordenenund registrierten Frau fast unmöglich gemacht, eine Existenzstatiert:Die Prostituierte, „die immerhin die Stütze der patriarchalischmonogamen Gesellschaft sein soll“ (S. 47) wirdkriminalisiert und mit ihr wird jeder, der in engem Zusammenhangzu ihr steht, sei es Pächter, Zuhälter, Wirtschafter aus derGesellschaft ausgegrenzt – nur der Kunde nicht. 3Während des Nationalsozialismus wurden Prostituierteals „gemeinschaftswidrige Elemente“ und als „Volksschädlinge“verfolgt und eingesperrt bzw. interniert. Gleichzeitigjedoch versuchte der Staat sich die Dienstleistungen der Prostituiertenzunutze zu machen. Der unglaubliche Höhepunktder Doppelmoral im NS Staat wurde mit der Einrichtungvon Wehrmachtsbordellen in Frankreich und Polen deutlich.Später wurden Bordelle für Fremdarbeiter eingerichtet (dazuwurden Frauen aus den besetzten Gebieten »rekrutiert«) undes wurden Bordelle für SS-Mannschaften und Bordelle inKonzentrationslagern für Funktionshäftlinge errichtet, in denenFrauen unter schlimmsten Bedingungen zu Prostitutiongezwungen wurden. 4Nach dem 2. Weltkrieg war Prostitution in Deutschlandzwar nicht ausdrücklich verboten, aber sie blieb bis zumSexarbeit in derBundesrepublikDeutschland undgewerkschaftlicheInteressensvertretung·································Jahre 2002 im Bürgerlichen Gesetzbuch als sittenwidrig die bürgerlichen Rechte – wie das Einklagen können desvereinbarten Lohnes – verwehrt. Durch eine Reihe von Gesetzen,die sich auf die Förderung der Prostitution sowiedie Zuhälterei bezogen, wurde die Ausübung der Prostitutionerschwert, behindert und in eine Grauzone zwischenIllegalität und Kriminalisierung gedrängt. Die Tätigkeit derProstituierten verwehrte den Frauen den Zugang zu einerKranken- und Sozialversicherung, ihr Einkommen war al-Nach der langen Phase der <strong>gesellschaft</strong>lichen Stigmatisierungund Ausgrenzung, hat die rot-grüne Regierung eine Gesetzeslagegeschaffen, die auf die Gleichstellung der Prostitutionmit anderen Arbeitsbereichen abzielt. 5 Das am 1.1.2002in Kraft getretene Prostitutionsgesetz (ProstG) regelt diezivil<strong>recht</strong>lichen, arbeits- und sozial<strong>recht</strong>lichen Beziehungenzwischen den Prostituierten und deren Kunden/innen und Arbeitgebern/innen.6 Zusammengefasst ergeben sich aus demGesetz folgende Veränderungen:1) Vgl Aufklärung und Kritik, Erlangen,2/2003.2) Bebel in: Die Frau und der Sozialismus,1879.3) Regina Schulte, Sperrbezirke: Tugendhaftigkeitund Prostitution in der bürgerlichenWelt, Frankfurt am Main 1979.4) Christa Paul, Zwangsprostitution, Berlin1994.5) Drucksache im Bundestag 14/5958.6) Dem Prostitutionsgesetz in Deutschland warengravierende Gesetzesänderungen in Holland undSchweden vorausgegangen, die sich aus <strong>recht</strong>svergleichenderSicht sehr polarisiert gegenüber stehen(vgl hierzu in dieser Ausgabe Prantner). Mit derVerabschiedung des Gesetzes „Kvinnofrid – Friedefür die Frauen“ am 1.1.1999 ist in Schweden zwardie Ausübung der Prostitution nicht strafbar, jedochwird der Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafegestellt. „Wer sich gegen Vergütung eine zufälligesexuelle Beziehung beschafft, wird – wenn die Tatnicht mit einer Strafe nach dem Strafgesetzbuchbelegt ist – für den Kauf sexueller Dienste zu einerGeldstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe vonim Höchstfall sechs Monaten verurteilt.“ Das Interesseder schwedischen Regierung war nicht dieGleichstellung der SexarbeiterInnen mit anderen<strong>juridikum</strong> 2007 / 2 Seite 103
themasexarbeit Prostituierte haben das Recht, in Ausübung ihres BerufesSozialabgaben abzuführen und entsprechende Leistungenin Anspruch zu nehmen (Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung) Prostituierte haben die Möglichkeit, Verträge mit ihren Arbeitgeber/-innen(Bordell-, Bar- und Clubbesitzer/innen)abzuschließen und haben somit Anspruch auf Arbeitnehmer/innen<strong>recht</strong>ewie bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlungim Krankheitsfall etc. Der Paragraph, der die Förderung oder Begünstigung derProstitution kriminalisiert, wurde abgeschafft. Somit wirddie Bereitstellung von Kondomen und hygienischen Verbesserungennicht mehr unter Strafe gestellt. Ein Kunde, der den angemessenen und vorher vereinbartenPreis für die erbrachte Leistung nicht bezahlt, kann jetztstraf<strong>recht</strong>lich verfolgt werden.Die Intention des Gesetzgebers war es, die Prostituierten aufsozialer und <strong>recht</strong>licher Ebene besser zu stellen. Doch dasneue Gesetz zur Verbesserung der <strong>recht</strong>lichen und sozialenLage von Prostituierten ist ein Kompromiss, der nach langwierigenDebatten zwischen außerparlamentarischen Expertinnenaus Beratungsstellen für Prostituierte und Betroffenenauf der einen Seite und den Bundestagfraktionen auf der anderenSeite gefunden wurde. Es bedeutet für die Prostituiertenin Deutschland einen ersten Schritt im Sinne der Anerkennungihrer Tätigkeit und der Garantie ihrer Rechte in sozialen undarbeits<strong>recht</strong>lichen Bereichen.Bericht der Deutschen BundesregierungEnde Januar 2007 legte das Ministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend nach 5jähriger Laufzeit den Berichtzu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes in Deutschlandvor. Familienministerin Ursula von der Leyen nanntees eine ernüchternde Bilanz: „Das Gesetz hat sein Ziel nurin Teilen erreicht. Es konnte die soziale Situation der Prostituiertennicht wirklich verbessern“, beklagt sie auf der Pressekonferenzam 24.1.2007. 7 Wie auch, wenn die Länder undGemeinden sich in weiten Teilen weigern, das Gesetz in derPraxis umzusetzen. So kritisiert die Grünen-Politikerin IrmingardSchewe-Gerigk, die das Gesetz unter der rot-grünenBerufsgruppen, sondern langfristig die Abschaffungder Prostitution. Dabei stehe nicht der Bestrafungsgedankeim Vordergrund, sondern das Un<strong>recht</strong>sbewusstsein:„Das Allerwichtigste ist der Symbolwertund die Schaffung eines Tabus.“ In Holland dagegenwurde Prostitution im Jahre 2000 legalisiert; damitsind Arbeitsverträge zwischen Bordellbetreibern undProstituierten zulässig, die die Arbeitsbedingungenregeln und eine Absicherung der Rechte sowie einenhöheren Standard der hygienischen Bedingungenin den Bordellen festschreiben sollen. Bordelle (unddamit auch die Prostituierten) sind auf diese Weisestärker ins Visier der staatlichen Stellen gerückt undregelmäßigen Kontrollen unterworfen, TAZ-Beilage„Kunst Mythos Realität SEXWORK, Berlin 25.2.2007S.2). Es gibt von diesen beiden Polen ausgehendin den europäischen Mitgliedstaaten ganz allgemeineine sehr inhomogene Situation der Regelungenüber Prostitution, die für die Betroffenen, für die Sexarbeiterinnen,sehr oft Willkür bedeuten (vgl umfassendThe Declaration of the Rights of Sex Workers inEurope , October 1005, Brussels, Belgium).7) Kritik an dem ProstG in Deutschland wurde zuvorauch von der bundesweiten AG Recht, der FachtagungProstitution/ Hurenkongress geübt (BundesweiteAG Recht, Pressemitteilung, Nürnberg2.11.2006).Seite 104 <strong>juridikum</strong> 2007 / 2