Umnutzung historischer Gebäude Dezember 2011 1 2012
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Zentrale der<br />
Hausrohrpost<br />
im Kaufhaus<br />
Wertheim,<br />
Leipziger Straße,<br />
Berlin; Quelle:<br />
Archiv Berliner<br />
Unterwelten e.V.<br />
Titelbild „Rohrpost-<br />
und Tischtelefonbuch“<br />
des Residenz-<br />
Casino, Quelle:<br />
Archiv Berliner<br />
Unterwelten e.V.<br />
und an den Börsen oder in den Post- und Telegraphenämtern<br />
selbst in Gebrauch und dienen der Beschleunigung<br />
der hausinternen Kommunikation oder der Weiterleitung<br />
von Druck- und Postsachen, Belegen, Bargeld,<br />
oder anderen Dingen. In Berlin entwickelt sich im ausgehenden<br />
19. Jahrhundert ein ganzer Industriezweig zur<br />
Herstellung von Hausrohrpostanlagen.<br />
Auch in Vergnügungsetablissements wie dem „Residenz-Casino“<br />
oder dem Ballhaus „Femina“ kommt<br />
Hausrohrpost (hier als so<br />
genannte Tisch- oder Saalrohrpost)<br />
zum Einsatz, als<br />
Attraktion, um von Tisch zu<br />
Tisch zu kommunizieren oder<br />
Bestellungen zum Tresen zu<br />
schicken.<br />
Auch im Zeitalter von<br />
E-Mail und SMS bleibt die<br />
Hausrohrpost aktuell. Heute<br />
verwendet man sie überall<br />
dort, wo etwas dokumentenecht,<br />
also im Original, befördert<br />
werden muss (z. B. Geld<br />
in Supermärkten, Möbelhäusern,<br />
Elektronikmärkten).<br />
In Krankenhäusern werden<br />
Laborproben oder Befunde,<br />
Röntgenbilder oder Blutkonserven<br />
per Rohrpost befördert.<br />
Das Bundeskanzleramt<br />
in Berlin verfügt über eine Hausrohrpostanlage, um sicherheitsrelevante<br />
Dokumente darin durch das <strong>Gebäude</strong><br />
zu schicken, und in Industriebetrieben werden Werkstoffproben<br />
per Hausrohrpost verschickt.<br />
Eine kleine Demonstrationsanlage der Firma „Aerocom“,<br />
eines der führenden Hausrohrpost-Hersteller, befindet<br />
sich heute im „Berliner Unterwelten-Museum“ im<br />
U-Bahnhof Gesundbrunnen.<br />
Die Technik<br />
Die Beförderung von Rohrpostbüchsen geschieht mittels<br />
atmosphärischem Über- und Unterdruck, also mittels<br />
verdichteter (komprimierter) und/oder verdünnter<br />
Luft. Die Erfindung der Rohrpost ist auf den britischen<br />
Ingenieur George Medhurst (1759-1827) zurückzuführen,<br />
der um 1810 erstmals die Verwendung von atmosphärischer<br />
Luft zu industriellen und verkehrstechni-<br />
28 Restaurator im Handwerk – Ausgabe 3/<strong>2011</strong><br />
schen Zwecken erprobte. Diese Idee wurde später durch<br />
französische und englische Ingenieure aufgegriffen und<br />
perfektioniert. Sowohl der Franzose Galy Cazalar als<br />
auch der Engländer Josiah Latimer Clark (1822-1898)<br />
reichten 1854 entsprechende Patente ein.<br />
Bei Stadtrohrpostanlagen wird meistens gleichzeitig<br />
im Druck- und Saugbetrieb gearbeitet, d. h.: hinter der<br />
Rohrpostbüchse wird ein Überdruck, vor der Rohrpostbüchse<br />
ein Unterdruck erzeugt. Bei Hausrohrpostanla-<br />
Luftverdichter der Hausrohrpostanlage im Keller des ehemaligen<br />
Haupttelegraphenamtes Oranienburger Straße;<br />
Quelle: Archiv Berliner Unterwelten e.V., © Stefan Lehmann<br />
gen genügt es oft, nur einseitig einen Druckunterschied<br />
zu erzeugen, also Druck- oder Saugbetrieb.<br />
Der Luftstrom wird anfangs durch große Dampfmaschinen<br />
erzeugt, denen Kolbenpumpen angeschlossen<br />
sind. Da diese keinen gleichmäßigen Luftstrom erzeugen<br />
können, werden sogenannte „Windkessel“, große<br />
Luft-Vorratsbehälter, zwischengeschaltet, die den pulsierenden<br />
Luftstrom in einen gleichförmigen Luftfluss<br />
verwandeln. Später lösen elektrisch betriebene Luftverdichter<br />
und Vakuumpumpen, Schraubenverdichter und<br />
Root-Gebläse die Dampfmaschinen und Kolbenpumpen<br />
ab. Die Druckunterschiede liegen bei etwa +/- 1 bar. Die<br />
Beförderungsgeschwindigkeit der Stadtrohrpostbüchsen<br />
beträgt anfangs zwischen 15 und 20 km/h; später<br />
werden Geschwindigkeiten von bis zu 15 Metern pro<br />
Sekunde (etwa 55 km/h) erreicht. Die Fahrrohre werden<br />
in einer Tiefe von 60 bis 120 Zentimetern unter der<br />
Straßenoberfläche verlegt und haben in Berlin einen<br />
Durchmesser von 65 und 76 Millimetern. Ab 1919 werden<br />
einheitlich 65-mm-Rohre verwendet. Es kommen<br />
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