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PS 02/2017

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nach Tokio ein, wo uns der oberste<br />

Boss der Heavy Industries im Restaurant<br />

seines Wolkenkratzers empfing.<br />

Wir aßen also und redeten. Er versprach<br />

uns, wir könnten bekommen,<br />

was auch immer wir wollten: zehn neue<br />

Motoren, 25 neue Chassis. Sie hatten<br />

wirklich ein riesiges Budget.“<br />

Doch es gab ein Hindernis. „Dann<br />

allerdings erzählten sie uns, das Team<br />

sollte aufgrund der Partnerschaft beider<br />

Firmen auf jeden Fall Reifen von<br />

Dunlop verwenden. Wir bevorzugten<br />

Michelin, also hielten wir vertraglich<br />

fest: Wenn wir Dunlops verwenden<br />

müssen, fahren wir nicht. Dürfen wir<br />

dagegen Michelins benutzen, fahren<br />

wir. Wir kehrten nach Italien zurück<br />

und Ducati bot uns einen Riesendeal<br />

für 2003, 2004 und 2005 an. Der war so<br />

gut, dass ich gleich Michelin anrief und<br />

sie darum bat, auf gar keinen Fall Reifen<br />

an Kawasaki zu verkaufen“, erzählt<br />

Pernat. Man könnte nun schockiert<br />

reagieren. Doch so funktioniert Racing<br />

eben. Pernat ist nur einer von ganz<br />

wenigen, die offen und unverblümt<br />

darüber sprechen.<br />

Etwas später kam die Simoncelli-<br />

Familie auf ihn zu: „Das war 2007 nach<br />

dem Grand Prix in der Türkei. Wir saßen<br />

in einer Hotelbar irgendwo in Istanbul.<br />

Marcos Vater Paolo wollte mit<br />

mir zusammenarbeiten, also arrangierten<br />

wir ein Treffen an einem Auto-Grill<br />

bei Cremona. Dort sprachen wir miteinander<br />

und unterzeichneten am Ende<br />

einen Vertrag. Eigentlich hatte ich<br />

schon längst entschieden, dass ich mit<br />

Marco arbeiten wollte. Wenn er mich<br />

nicht ausgesucht hätte, hätte ich ihn<br />

ausgesucht. Marco war Loris in einigen<br />

Punkten sehr ähnlich – ein toller Typ<br />

und ein bodenständiger Mensch. Immer<br />

freundlich, kein Bullshit. Wenn er<br />

aber auf einer Rennstrecke war, wurde<br />

er zum Biest!“<br />

Pernat und die Familie Simoncelli<br />

wurden gute Freunde: „Nach Laguna<br />

Seca 2011 machten wir uns auf zu<br />

einem großen Roadtrip durch Colorado.<br />

Marco, seine Familie, ich und ein<br />

paar Freunde, die mit eigenen Autos<br />

hinterherfuhren. Es war ein wunderbarer<br />

Trip. Marco versuchte mich dazu zu<br />

bringen, mit dem Rauchen aufzuhören.<br />

Er durchwühlte mein Gepäck und<br />

machte alle meine Zigaretten kaputt.<br />

Einen halben Tag lang hatte ich keine<br />

mehr geraucht, und ich hätte ihn am<br />

liebsten umgebracht! Wir fuhren den<br />

Highway entlang, er überholte und sah<br />

mich aus dem Fenster heraus an. Aus<br />

seinen Ohren und Nasenlöchern hingen<br />

meine Kippen. Er war ein Typ, der<br />

alle in seiner Umgebung zum Lachen<br />

bringen konnte.“<br />

Bereits vor Simoncellis Tod war<br />

aber nicht immer alles eitel Sonnenschein:<br />

„Nachdem Marco und Dani<br />

Pedrosa in Le Mans 2011 aneinander<br />

gerasselt waren, gab es eine große<br />

Kampagne gegen ihn in Spanien. Einige<br />

Tage vor dem Rennen in Barcelona<br />

steckte ein Brief in Marcos Briefkasten,<br />

der zwei Kugeln und einen Zettel<br />

enthielt. Darauf stand: ‚In Barcelona<br />

wirst du tot sein, noch bevor du an der<br />

Startlinie stehst.‘ Als wir am Flughafen<br />

ankamen, erwarteten uns vier Interpol-<br />

Bodyguards, die uns das gesamte<br />

Wochenende über nicht von der Seite<br />

gewichen sind.“<br />

Als Marco Simoncelli im Oktober<br />

2011 in Sepang tödlich verunglückte,<br />

verabschiedete sich Carlo Pernat vorerst<br />

vom Rennsport: „Marcos Tod ist<br />

ein schrecklicher Verlust. Ich weiß<br />

nicht, ob er dazu in der Lage gewesen<br />

wäre, einen MotoGP-Titel zu holen.<br />

Aber er hätte auf jeden Fall alles daran<br />

„MEIN GROSSES<br />

GLÜCK WAR ES,<br />

BEI CAGIVA UND<br />

APRILIA FÜR ZWEI<br />

HERSTELLER MIT<br />

RENNSPORTVER-<br />

RÜCKTEN BOSSEN<br />

ARBEITEN ZU<br />

DÜRFEN“<br />

Carlo Pernat<br />

gesetzt, und die Leute hätten ihn dafür<br />

geliebt.“<br />

Sechs Monate nach Simoncellis<br />

Unfall klingelte bei Carlo Pernat das<br />

Telefon. Der Mann am anderen Ende<br />

der Leitung war Andrea Iannone. Pernat<br />

war zurück im Spiel. „Mit Andrea ist<br />

es nicht leicht. Ich glaube fest daran,<br />

dass er das Zeug zum Gewinnen hat.<br />

Er ist unglaublich talentiert und wenn<br />

er sich nur etwas mehr formen lassen<br />

würde, könnte er der nächste Weltmeister<br />

sein. Es läuft ein bisschen wie<br />

bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Privat ist<br />

Andrea ein freundlicher Mensch, aber<br />

beim Racing ist er sehr verbissen.“<br />

Damit endet das Gespräch mit dem<br />

68-jährigen Italiener. Carlo Pernat<br />

trinkt aus, verlässt den Tisch und kehrt<br />

ins Paddock zurück, umhüllt von einer<br />

Wolke aus Tabakqualm. Er mag ein<br />

Dinosaurier im GP-Zirkus sein. Aber<br />

in diesem Moment sieht es so aus,<br />

als hätte sich der Dinosaurier dazu<br />

aufgemacht, eine Horde wehrloser<br />

Schafe zu terrorisieren.<br />

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