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nach Tokio ein, wo uns der oberste<br />
Boss der Heavy Industries im Restaurant<br />
seines Wolkenkratzers empfing.<br />
Wir aßen also und redeten. Er versprach<br />
uns, wir könnten bekommen,<br />
was auch immer wir wollten: zehn neue<br />
Motoren, 25 neue Chassis. Sie hatten<br />
wirklich ein riesiges Budget.“<br />
Doch es gab ein Hindernis. „Dann<br />
allerdings erzählten sie uns, das Team<br />
sollte aufgrund der Partnerschaft beider<br />
Firmen auf jeden Fall Reifen von<br />
Dunlop verwenden. Wir bevorzugten<br />
Michelin, also hielten wir vertraglich<br />
fest: Wenn wir Dunlops verwenden<br />
müssen, fahren wir nicht. Dürfen wir<br />
dagegen Michelins benutzen, fahren<br />
wir. Wir kehrten nach Italien zurück<br />
und Ducati bot uns einen Riesendeal<br />
für 2003, 2004 und 2005 an. Der war so<br />
gut, dass ich gleich Michelin anrief und<br />
sie darum bat, auf gar keinen Fall Reifen<br />
an Kawasaki zu verkaufen“, erzählt<br />
Pernat. Man könnte nun schockiert<br />
reagieren. Doch so funktioniert Racing<br />
eben. Pernat ist nur einer von ganz<br />
wenigen, die offen und unverblümt<br />
darüber sprechen.<br />
Etwas später kam die Simoncelli-<br />
Familie auf ihn zu: „Das war 2007 nach<br />
dem Grand Prix in der Türkei. Wir saßen<br />
in einer Hotelbar irgendwo in Istanbul.<br />
Marcos Vater Paolo wollte mit<br />
mir zusammenarbeiten, also arrangierten<br />
wir ein Treffen an einem Auto-Grill<br />
bei Cremona. Dort sprachen wir miteinander<br />
und unterzeichneten am Ende<br />
einen Vertrag. Eigentlich hatte ich<br />
schon längst entschieden, dass ich mit<br />
Marco arbeiten wollte. Wenn er mich<br />
nicht ausgesucht hätte, hätte ich ihn<br />
ausgesucht. Marco war Loris in einigen<br />
Punkten sehr ähnlich – ein toller Typ<br />
und ein bodenständiger Mensch. Immer<br />
freundlich, kein Bullshit. Wenn er<br />
aber auf einer Rennstrecke war, wurde<br />
er zum Biest!“<br />
Pernat und die Familie Simoncelli<br />
wurden gute Freunde: „Nach Laguna<br />
Seca 2011 machten wir uns auf zu<br />
einem großen Roadtrip durch Colorado.<br />
Marco, seine Familie, ich und ein<br />
paar Freunde, die mit eigenen Autos<br />
hinterherfuhren. Es war ein wunderbarer<br />
Trip. Marco versuchte mich dazu zu<br />
bringen, mit dem Rauchen aufzuhören.<br />
Er durchwühlte mein Gepäck und<br />
machte alle meine Zigaretten kaputt.<br />
Einen halben Tag lang hatte ich keine<br />
mehr geraucht, und ich hätte ihn am<br />
liebsten umgebracht! Wir fuhren den<br />
Highway entlang, er überholte und sah<br />
mich aus dem Fenster heraus an. Aus<br />
seinen Ohren und Nasenlöchern hingen<br />
meine Kippen. Er war ein Typ, der<br />
alle in seiner Umgebung zum Lachen<br />
bringen konnte.“<br />
Bereits vor Simoncellis Tod war<br />
aber nicht immer alles eitel Sonnenschein:<br />
„Nachdem Marco und Dani<br />
Pedrosa in Le Mans 2011 aneinander<br />
gerasselt waren, gab es eine große<br />
Kampagne gegen ihn in Spanien. Einige<br />
Tage vor dem Rennen in Barcelona<br />
steckte ein Brief in Marcos Briefkasten,<br />
der zwei Kugeln und einen Zettel<br />
enthielt. Darauf stand: ‚In Barcelona<br />
wirst du tot sein, noch bevor du an der<br />
Startlinie stehst.‘ Als wir am Flughafen<br />
ankamen, erwarteten uns vier Interpol-<br />
Bodyguards, die uns das gesamte<br />
Wochenende über nicht von der Seite<br />
gewichen sind.“<br />
Als Marco Simoncelli im Oktober<br />
2011 in Sepang tödlich verunglückte,<br />
verabschiedete sich Carlo Pernat vorerst<br />
vom Rennsport: „Marcos Tod ist<br />
ein schrecklicher Verlust. Ich weiß<br />
nicht, ob er dazu in der Lage gewesen<br />
wäre, einen MotoGP-Titel zu holen.<br />
Aber er hätte auf jeden Fall alles daran<br />
„MEIN GROSSES<br />
GLÜCK WAR ES,<br />
BEI CAGIVA UND<br />
APRILIA FÜR ZWEI<br />
HERSTELLER MIT<br />
RENNSPORTVER-<br />
RÜCKTEN BOSSEN<br />
ARBEITEN ZU<br />
DÜRFEN“<br />
Carlo Pernat<br />
gesetzt, und die Leute hätten ihn dafür<br />
geliebt.“<br />
Sechs Monate nach Simoncellis<br />
Unfall klingelte bei Carlo Pernat das<br />
Telefon. Der Mann am anderen Ende<br />
der Leitung war Andrea Iannone. Pernat<br />
war zurück im Spiel. „Mit Andrea ist<br />
es nicht leicht. Ich glaube fest daran,<br />
dass er das Zeug zum Gewinnen hat.<br />
Er ist unglaublich talentiert und wenn<br />
er sich nur etwas mehr formen lassen<br />
würde, könnte er der nächste Weltmeister<br />
sein. Es läuft ein bisschen wie<br />
bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Privat ist<br />
Andrea ein freundlicher Mensch, aber<br />
beim Racing ist er sehr verbissen.“<br />
Damit endet das Gespräch mit dem<br />
68-jährigen Italiener. Carlo Pernat<br />
trinkt aus, verlässt den Tisch und kehrt<br />
ins Paddock zurück, umhüllt von einer<br />
Wolke aus Tabakqualm. Er mag ein<br />
Dinosaurier im GP-Zirkus sein. Aber<br />
in diesem Moment sieht es so aus,<br />
als hätte sich der Dinosaurier dazu<br />
aufgemacht, eine Horde wehrloser<br />
Schafe zu terrorisieren.<br />
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