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Lebenslust Gottingen Frühjahr 2017

Das Magazin für Kunst & Kultur, Shopping, Genuss und mehr

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66 ZU GUTER LETZT lebenslust:gö<br />

Der alltägliche Wahnsinn ‒<br />

schöne heile Welt?<br />

Die Entscheidung ist gefallen: Das Wort<br />

des Jahres 2016 lautet „postfaktisch“.<br />

Und passend zum multikulturellen<br />

Zeitgeist entstammt das Wort nicht unserer<br />

Muttersprache; die „Gesellschaft für Deutsche<br />

Sprache“, die den Preis verleiht, hat sich vielmehr<br />

im Sinne der übergreifenden Chancengleichheit<br />

für ein Wort mit Migrationshintergrund<br />

entschieden. Ein durchaus löbliches<br />

Unterfangen, zumal die Gesellschaft<br />

doch durch ihre nationalistische Namensgebung<br />

eher anderes vermuten lässt.<br />

Hinzu kommt, dass es sich bei dem Preisträger<br />

um ein sehr junges Wort – oder neudeutsch<br />

einen „Newcomer“ – handelt. Es erfreut,<br />

dass ein so frischer, moderner Begriff<br />

offensichtlich eine nicht zu unterschätzende<br />

Siegermentalität mitbringt. Da fällt es auch<br />

nicht weiter ins Gewicht, dass „postfaktisch“<br />

als Begrifflichkeit schon von der Wortschöpfung<br />

her wenig verständlich ist. Wörtlich<br />

übersetzt heißt es so etwas wie „nachfaktisch“,<br />

also das, was zeitlich nach den Fakten<br />

gelegen ist. Was soll das sein? Neue Fakten?<br />

Alte Fakten im neuen Gewand? So ohne Weiteres<br />

erklärt sich die Bedeutung nicht, ist allerdings<br />

dank der ausufernden Verwendung<br />

in Presse, Funk und Fernsehen gemeinhin bekannt:<br />

Wer postfaktisch denkt, folgt, die Tatsachen<br />

geflissentlich ignorierend, nur seinen<br />

Gefühlen.<br />

Im Grunde genommen ist der diesjährige<br />

Preisträger also ein enger Verwandter des<br />

Wortes „populistisch“; nur dass man populistisch<br />

nicht denken kann, sondern lediglich<br />

so diskutiert. Wer populistisch argumentiert,<br />

argumentiert im Grunde genommen gar<br />

nicht. Er redet Blödsinn, spricht aber den<br />

Adressaten emotional an, was bei diesem,<br />

wenn er denn eine postfaktische Grundeinstellung<br />

mitbringt, den gewünschten Effekt<br />

erzielt. Im Grunde genommen verhält sich<br />

ein Populist also rational, indem er Irrationales<br />

von sich gibt – ein Paradoxon an sich.<br />

Trotz dieser verwandschaftlichen Beziehungen<br />

hat es „populistisch“ bislang allerdings<br />

nicht aufs Siegertreppchen geschafft.<br />

Was verleiht aber diesem „postfaktisch“ die<br />

Fähigkeit, die große Konkurrenz, bestehend<br />

aus „Brexit“, „Silvesternacht“, „Schmähkritik“<br />

und „Gruselclown“, hinter sich zu lassen? Die<br />

Postfaktisch<br />

Jury begründete ihre Entscheidung damit,<br />

dass dieses Kunstwort das Augenmerk auf<br />

einen tiefgreifenden politischen Wandel<br />

richte und verdeutliche, dass immer größere<br />

Bevölkerungsschichten gewillt seien, Tatsachen<br />

zu ignorieren und offensichtliche Lügen<br />

bereitwillig zu akzeptieren, um ihrer eigenen<br />

„gefühlten“ Wahrheit Vorschub zu leisten.<br />

Aber das ist natürlich nur die halbe Miete. Ein<br />

großer Trumpf von „postfaktisch“ ist sicherlich<br />

der Migrationshintergrund. Wer so gebildet<br />

in Halblatein daherkommt wie „postfaktisch“<br />

und dabei auch noch zur Offenlegung<br />

des Populismus beiträgt, hat einfach einen<br />

unübertreffbaren Feldvorteil.<br />

Zudem ist das Wort unglaublich flexibel. In<br />

politischen Debatten dient es zur Desavouierung<br />

des Gegenübers, dessen Argumentation<br />

dann gar nicht mehr aufgegriffen<br />

werden muss. Gleichermaßen kommt es als<br />

höchst vornehme Beleidigung auf Cocktailpartys<br />

oder Schulhöfen daher. Wer als „postfaktisch“<br />

bezeichnet wird, ist gleichermaßen<br />

als Idiot abgestempelt, ohne dass man sich<br />

hierzu um einen Kraftausdruck bemühen<br />

muss. Die in dieser Bezeichnung mitschwingende<br />

Empörung aller politisch korrekt und<br />

moralisch unfehlbar Denkenden verleiht diesem<br />

Effekt zusätzlichen Nachdruck.<br />

Gerade im Superwahljahr <strong>2017</strong> ist dies nicht<br />

zu unterschätzen. Wir werden heuer noch so<br />

einige Argumente als postfaktisch dekuvriert<br />

sehen. Das Wort leistet daher nicht nur einen<br />

wertvollen Beitrag zur Bezeichnung eines<br />

Missstandes, sondern dient vielmehr auch<br />

zur Überführung derjenigen, die sich dessen<br />

bedienen. Eine nicht zu unterschätzende<br />

Doppelfunktion.<br />

Insbesondere unsere politischen Leistungsträger<br />

sind daher gut beraten, wenn sie möglichst<br />

häufig und mit entsprechender Vevre<br />

diesen Branchenprimus‘ zur Verwendung<br />

kommen lassen; ist doch derjenige, der dies<br />

tut, über den Verdacht erhaben, selbst im<br />

Lager der Postfaktischen zu stehen. Er kann<br />

vor diesem Hintergrund also ohne Weiteres<br />

auch bei Stimmverlusten im zweistelligen<br />

Prozentbereich frisch und frei behaupten,<br />

Wahlsieger zu sein, ohne sich dem Verdacht<br />

auszusetzen, ein Populist zu sein. ■<br />

Impressum<br />

lebenslust:gö<br />

Das Magazin für Kunst & Kultur, Shopping,<br />

Genuss und mehr<br />

HERAUSGEBER<br />

Rita Wagner, Werner P. Rühling<br />

VERLAG<br />

CitiMedien Gesellschaft, Rita Wagner<br />

Hilsweg 28, 37081 Göttingen<br />

Telefon 0551.92959<br />

www.lebenslust-goe.de<br />

info@lebenslust-goe.de<br />

REDAKTION<br />

Rita Wagner (verantwortlich)<br />

AUTOREN<br />

Susanne und Thomas Gries, Dr. Cornelie Hildebrandt,<br />

Christine Lendt, Jan Thomas Ockershausen,<br />

Werner P. Rühling, Michael Schäfer, Dr. Egbert Schulz,<br />

Jan Sperhake, Angela Steinhardt, Rita Wagner<br />

FOTOS<br />

Archiv, Bode Brautmoden, Bergbaumuseum Lautenthals<br />

Glück, Frank Bertram, citysoundz, Gandersheimer Domfestspiele,<br />

Eichsfelder Heimatmuseum, Einbeck Marketing,<br />

Heike Gerlach, HöhlenErlebnisZentrum Bad Grund,<br />

Landgasthaus Rode, Kur- und Touristik-Information Bad<br />

Karlshafen, Luftfahrtmuseum Wernigerode, Lutherstadt<br />

Wittenberg, MVZ Neu Maria Hilf, Museum Friedland,<br />

Naturpark Teutoburger Wald, PS.Speicher Einbeck,<br />

Restaurant Rodetal, Stadt Holzminden Kulturamt, Seeund<br />

Waldresort Gröbern, Theater Nordhausen, Töpfermarkt<br />

Großenrode, Torfhaus Harzresort, Touristik-Information<br />

Einbeck, Touristik-Information Hochsolling,<br />

Touristinformation Bad Langensalza, Tourismus und<br />

Marketing Osterode, Tourist-Information Hahnenklee,<br />

Werner P. Rühling, Rita Wagner, Udo Wagner<br />

LAYOUT<br />

Designbüro | Wagner<br />

ANZEIGEN / MARKETING<br />

Werner P. Rühling<br />

w.ruehling@lebenslust-goe.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2/2014<br />

VERTRIEB<br />

Über Lesezirkel und an über 800 Standorten (Freizeit,<br />

Handel, Kultureinrichtungen, Gemeindeverwaltungen,<br />

Gastronomie, Hotels) sowie Direktverteilung: 2.000 Expl.<br />

gezielt an Haushalte in der Region<br />

DRUCK<br />

Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel<br />

AUFLAGE<br />

25.000 Exemplare<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

viermal im Jahr: März, Juni, September, Dezember<br />

ALLGEMEINES<br />

Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und<br />

Abbildun gen sind urheberrechtlich geschützt.<br />

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Nächster Erscheinungstermin: 1. Juni <strong>2017</strong><br />

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