Demenzerkrankungen - Österreichische Gesellschaft für Neurologie
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und FTD in den letzten Jahren zunehmend<br />
mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Bis zu 50<br />
% aller ALS-Patienten zeigen kognitive Defizite,<br />
bei bis zu 2 Drittel aller ALS-Patienten<br />
werden Verhaltensauffälligkeiten beschrieben,<br />
bei circa 5 % findet sich das Vollbild<br />
einer Demenz. Der Zusammenhang ist sowohl<br />
bei den sporadischen Formen als auch<br />
bei familiären Formen zu beobachten. Am<br />
häufigsten wird die bvFTD beschrieben.<br />
Es finden sich auch Formen der primär progressiven<br />
Aphasie, wobei hier bei den aufgrund<br />
der bulbären Symptomatik oft schwerer<br />
zu beurteilenden Sprachfunktionen eine<br />
nicht unerhebliche Dunkelziffer bestehen<br />
dürfte. Umgekehrt finden sich Zeichen einer<br />
Motorneuronenerkrankung auch bei vielen<br />
FTD-Patienten ohne manifeste ALS.<br />
Der Zusammenhang hat zahlreiche Implikationen<br />
<strong>für</strong> das Management der Erkrankungen<br />
und lässt ein neuropsychologisches<br />
Screening bei ALS-Patienten und eine eingehende<br />
klinische und eventuell auch elektrophysiologische<br />
Untersuchung von FTD-Patienten<br />
in Hinblick auf Störungen des motorischen<br />
Systems ratsam erscheinen.<br />
Klinische Präsentation<br />
Logopenische Aphasie: Neben der SD und<br />
der PNFA (Agrammatismus, Sprechapraxie,<br />
tlw. Dysarthrie) kristallisiert sich zunehmend<br />
eine dritte Form primärer progressiver Aphasie<br />
heraus, die so genannte logopenische<br />
Aphasie. Bei dieser Form stehen Wortfindungsstörungen<br />
und Satzabbrüche im Vordergrund.<br />
Syntax und Wortverständnis sind<br />
zumindest relativ gut erhalten, Nachsprechen<br />
stark beeinträchtigt.<br />
Als pathologisches Substrat dürfte hier in den<br />
meisten Fällen keine FTD, sondern M. Alzheimer<br />
vorliegen. Der pathologische Schwerpunkt<br />
liegt links parietotemporal.<br />
28<br />
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
Es ist äußerst wichtig, die drei Formen in Zukunft<br />
klinisch differenzieren zu lernen, da zunehmend<br />
klar wird, dass jeweils ein anderes<br />
pathologisches Substrat zugrunde liegt. Bei<br />
der semantischen Demenz handelt es sich<br />
um eine TDP-43-assoziierte Erkrankung, die<br />
PNFA ist eine Tauopathie und die logopenische<br />
Aphasie eine Präsentationsform der DAT.<br />
Therapie<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
Trotz der zunehmenden Kenntnisse über<br />
pathophysiologische Grundlagen der FTD<br />
steht derzeit keine krankheitsmodifizierende,<br />
pharmakologische Therapie zu Verfügung.<br />
Zukünftige Ansätze werden sich jeweils spezifisch<br />
mit der Tau- und TDP-43-Pathologie<br />
beschäftigen müssen – umso wichtiger wird<br />
es sein, klinische Diagnosekriterien zu verfeinern<br />
und auch Biomarker <strong>für</strong> die In-vivo-Differentialdiagnose<br />
zwischen Tauopathie- und<br />
TDP-43-Pathologie zu finden.<br />
Symptomatische Behandlung: Im Bereich<br />
der symptomatischen Therapien scheinen –<br />
sowohl theoretisch als auch empirisch begründet<br />
– Acetylcholinesterasehemmer keine<br />
wesentliche Rolle zu spielen. Zuletzt wurde<br />
dies wieder <strong>für</strong> Galantamin bestätigt, wobei<br />
sich jedoch bei PPA ein möglicher Effekt zeigte,<br />
der von den Autoren als weiter verfolgenswert<br />
betrachtet wird.<br />
Erste offene Studien mit Memantin zeigten<br />
positive Effekte, lassen jedoch noch keinen<br />
endgültigen Schluss über die Wirksamkeit in<br />
dieser Indikation zu.<br />
Für Bromocriptin bei PPA liegt eine negative<br />
Studie vor. Interessant, aber noch weit entfernt<br />
von klinischer Relevanz ist der Beleg <strong>für</strong><br />
eine herabgesetzte Risikobereitschaft in einer<br />
„Gambling“-Aufgabe unter dem Stimulantium<br />
Methylphenidat.<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Eine Metaanalyse zeigte einen Einfluss auf<br />
das Verhalten durch die Gabe von SSRI und<br />
Trazodon, jedoch typischerweise keinen Effekt<br />
auf kognitive Funktionen.<br />
Atypische Neuroleptika werden häufig bei<br />
Aggression und sozial unerwünschtem Verhalten<br />
eingesetzt, ihre Wirkung bei FTD ist<br />
aber nur unzureichend belegt.<br />
Kognitives Training: Da bei FTD das episodische<br />
Gedächtnis als wesentliche Voraussetzung<br />
von Lernen neuer Inhalte zumindest relativ<br />
gut erhalten ist, sollte es möglich sein,<br />
durch kognitives Training einen Einfluss auf<br />
die Erkrankung zu nehmen. Bislang fehlen<br />
hierzu jedoch Studien. Immer wieder wird<br />
die hochgradige Belastung der betreuenden<br />
Angehörigen vor allem durch Persönlichkeitsveränderungen<br />
und Verhaltensauffälligkeiten<br />
beschrieben, was eine gezielte<br />
Angehörigenbetreuung als sehr vordringlich<br />
erscheinen lässt. Auch hierzu fehlen jedoch<br />
noch systematische Studien. ■<br />
RESÜMEE<br />
Das Wissen über die frontotemporale<br />
Demenz insbesondere über die Zusammenhänge<br />
zwischen klinischen Phänotypen,<br />
Pathologie und Genetik hat in den<br />
letzten Jahren deutlich zugenommen,<br />
Dennoch wird die FTD nach wie vor oft<br />
spät diagnostiziert, was teilweise auch<br />
am Fehlen gesichert wirksamer Therapieoptionen<br />
liegen dürfte.<br />
In den nächsten Jahren wird es daher<br />
von zentraler Bedeutung sein, die Erkenntnisse<br />
der Grundlagenforschung in<br />
der klinischen Praxis umzusetzen und sowohl<br />
pharmakologisch als auch nichtpharmakologische<br />
Therapiekonzepte zu<br />
entwickeln und zu überprüfen.