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SPORTaktiv August 2018

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Wie viele kam Gerhard Schiemer<br />

über den Straßenlauf<br />

zum Laufen im Gelände. Ursprünglich<br />

10-km-Wettkämpfer, verlegte<br />

er sein Training mehr und mehr in die<br />

Wälder. Über „kurze, knackige“ Bergläufe<br />

fand er zu den genretypischen Ultratrail-Distanzen<br />

– in einer Zeit, als es<br />

erst einen Bruchteil der heutigen Events<br />

gab. Mit seinen Erfolgen schaffte es der<br />

Niederösterreicher ins Nationalteam<br />

und zur WM-Teilnahme 2015 in der<br />

jungen Sportart Trailrunning.<br />

Einerseits war es die entspannte Szene<br />

bei den Berg- und Trailläufen, die ihn<br />

anzog. Andererseits ist Trailrunning für<br />

Schiemer viel mehr als bloß Laufen auf<br />

naturbelassenem Untergrund und in<br />

einer erstaunlich lockeren Wettkampfatmosphäre.<br />

Das vermittelt er auch in<br />

Kursen, in denen er die Trailrunning-<br />

Basics Einsteigern näherbringt.<br />

Erfahre dich selbst<br />

Wofür steht also Trailrunning? Starten<br />

wir bei einem häufigen Missverständnis:<br />

Trailrunning braucht weder Berge vor<br />

der Haustür noch ultralange Distanzen.<br />

Sehr viel hat Trailrunning dafür mit<br />

„Wahrnehmung“ zu tun, meint Schiemer.<br />

„Mit dem Wahrnehmen von unendlich<br />

vielen Kleinigkeiten“, die sich in<br />

der Natur genauso wie in einem selber<br />

finden. „Eindrücke wechseln ständig<br />

und die Aufmerksamkeit wird permanent<br />

beansprucht. Wo trete ich hin? Wie<br />

fühlt es sich an, wenn ich nicht sicher<br />

bin, ob ein Stein unter mir rutscht oder<br />

nicht?“<br />

Die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen<br />

gehe in stressigen Zeiten oft<br />

verloren, sagt Schiemer – beim Traillaufen<br />

könne man diese wieder finden,<br />

und Vertrauen zu sich selbst schöpfen.<br />

Typisch: Die Lage im Raum, wo sich<br />

der eigene Körperschwerpunkt befindet<br />

– das ist ein zentrales Thema für den<br />

Sportwissenschafter.<br />

TECHNIK-TIPPS<br />

Was Gerhard Schiemer rät und in<br />

seinen Kursen vermittelt:<br />

BERGAUF-LAUFTECHNIK<br />

mit sehr kleinen Schritten und<br />

hoher Frequenz laufen<br />

mit den Fußballen aufsetzen<br />

Grund-Körperspannung so gut<br />

wie möglich halten<br />

ausbalancierten Körperschwerpunkt<br />

finden: Wenn man bei<br />

jedem Schritt ein kleines Stück<br />

zurückrutscht, stimmt wahrscheinlich<br />

der Körperschwerpunkt<br />

nicht<br />

BERGAB-LAUFTECHNIK<br />

mit kleinen, kontrollierten<br />

Schritten laufen<br />

am Ballen aufsetzen, nicht auf<br />

der Ferse<br />

nicht zurücklehnen, sondern mit<br />

dem Körper vorne bleiben<br />

auf steinigen Wegen von Stein<br />

zu Stein treten – mit der Zeit entwickelt<br />

man ein Gefühl dafür, ob<br />

ein Stein wegrutscht oder nicht<br />

bergab in Intervallen trainieren:<br />

1 min zügig und 1 min Erholung<br />

im Wechsel, damit sich die<br />

Muskulatur erholen und an die<br />

Belastung gewöhnen kann<br />

STOCKTECHNIK<br />

Bergauf kommt situationsabhängig<br />

eine Doppelstock-, versetzte<br />

Doppelstock- oder Diagonaltechnik<br />

zum Einsatz<br />

bergab Stöcke eher zum<br />

Bremsen und zur Gelenksschonung<br />

einsetzen<br />

Zum Wahrnehmen gehört auch die<br />

Blickführung. Im Normalfall wandert<br />

der Blick drei bis vier Meter am Trail voraus,<br />

scannt permanent die Strecke und<br />

den Untergrund, bleibt bei kniffligen<br />

Passagen kurz haften und schweift dann<br />

gleich wieder nach vorne.<br />

Zu all dem kommt auch das „Erkunden“,<br />

erklärt Gerhard Schiemer – das<br />

Spiel mit dem Ungewissen: „Nicht zu<br />

wissen, wo ein Wegerl hinführt, das ich<br />

grad entdeckt habe. Oder auch nicht,<br />

wie lange ich heute unterwegs sein werde.“<br />

Beim Straßenlaufen stehen Distanz,<br />

Weg und Tempo meist ja schon beim<br />

Schuhebinden fest.<br />

Beim Trailrunning solle man sich<br />

bewusst auf die Ungewissheit einlassen.<br />

Wenn man dann einmal etwas länger<br />

als geplant unterwegs ist, dann soll man<br />

ruhig auch einmal Durst spüren dürfen<br />

– auch wenn diesen Tipp Ernährungsmediziner<br />

vielleicht nicht so gern hören<br />

werden: „Man muss nicht immer drei<br />

Trinkflaschen mithaben.“ Zumindest,<br />

solange man in Zivilisationsnähe läuft<br />

und sich nicht im alpinen Gelände befindet.<br />

„Dieses Spiel mit dem Ungewissen<br />

erzeugt viele kleine Kitzel, die in unserer<br />

gesättigten Gesellschaft sonst fehlen“,<br />

resümiert Schiemer – ein Grund mehr,<br />

warum Trailrunning so gut in unsere<br />

Zeit passt.<br />

Wege und Ausrüstung<br />

Unsere Zeit? Ist bekanntlich auch eine,<br />

in der viele in Städten leben. Um sich<br />

vom Läufer zum Trailrunner weiterzuentwicklen,<br />

muss man sich auch als<br />

Städter nicht ins Auto setzen und auf<br />

dem Weg in die Natur CO₂ und Stickoxide<br />

in die Luft blasen. Größere Parks<br />

wie jene in Wien eignen sich mit ihren<br />

vielen kleinen Verbindungswegen blendend<br />

zum Traillaufen. In praktisch jeder<br />

österreichischen Stadt gibt es grüne Oasen,<br />

Wälder, Hügel und Naturwege in<br />

<strong>SPORTaktiv</strong><br />

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