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Aus den Aufzeichnungen meiner Großmutter Hilde über die Kindheit meiner Mutter Gerdha gehen vier wichtige<br />
Ansätze matriarchalen Denkens hervor: Mutterliebe, Humor, Religiosität und Nachhaltigkeit.<br />
Dies hier sind Zitate aus diesem „Lebensbuch“, d.h. dem Tagebuch, das die Mutter über ihre Tochter<br />
geschrieben hat. Den <strong>Ein</strong>band schmücken ein eingeprägter Schriftzug „Klein-Gerdha“ und ein Schneeglöckchen<br />
aus Messing. Es beginnt mit ihrer Geburt 1901. Das „h“ in ihrem Namen wird später weggelassen.<br />
1989<br />
Hilde notiert genau das Gewicht und die Nahrungsaufnahme.<br />
Die Liste endet mit Gerdhas Gewicht nach einem Jahr: 10110<br />
Gramm. Das sorgfältige Buchführen ist ein Beispiel für die<br />
„Ordnung der Mutter“.<br />
Geboren am 26. Dezember 1901<br />
früh 9 ¼ Uhr wiegt Gerdha 6 Pfund.<br />
Vom zweiten Tage an nimmt sie alle<br />
4 Stunden Nahrung zu sich und hat<br />
nach der ersten Woche nur 200 gr.<br />
abgenommen.<br />
****<br />
1935<br />
1901<br />
877<br />
1853<br />
1822<br />
-20<br />
-3400<br />
Ihre erste Reise trat Gerdha mit fast 6 Monaten an, nach den<br />
Laberhäusern im Riesengebirge, wo wir ein viertel Jahr verbrachten.<br />
Dort trank sie nur Ziegenmilch, die ihr ausgezeichnet<br />
bekam. Gerdha ist nun 5/4 Jahr alt und fängt endlich an zu<br />
sprechen. Hauptwort ist „Na“. Wenn ein Wasserhahn aufgedreht<br />
wird, am Eisschrank Wasser abgelassen, oder wenn es<br />
regnet, all das fasst sie in dieses eine Wort zusammen. Die<br />
Gesundheit ist leider nicht berühmt, die Farben verlieren sich<br />
trotz reichlicher Nahrungsaufnahme und Kleinchen wird immer<br />
magerer. Mit 19 Monaten endlich stellt sich ein heftiger Darmkatarrh<br />
ein und die Milch wird für zwei Monate ausgesetzt.<br />
Noch krank fahren wir mit dem Kind nach Charlottenbrunn,<br />
auch dort bessert sich der Zustand nicht, aber geistig entwickelt<br />
sich Gerdha ganz auffallend. Sie spricht alles nach und<br />
fast immer richtig, ist aber durch die Krankheit meist schlecht<br />
aufgelegt, weint andauernd und macht uns durch ihr Befinden<br />
rechte Sorge, so dass wir beschließen, in Breslau einen Kinderarzt<br />
zu konsultieren und die Abreise deshalb beschleunigen.<br />
Die Eisenbahn ist eine Marter, die dreistündige Fahrt wird von<br />
Gerdha schreiend zurückgelegt und ein Passagier nach dem<br />
andern verlässt entsetzt das Wagenabteil. Wir atmen erst auf,<br />
als wir am Ziele sind und schon am nächsten Tage gehe ich mit<br />
Gerdha zu einem Kinderarzt: Dr. Theinich verordnet eine ganz<br />
andere, die vegetarische Lebensweise! Das Kind wiegt nur<br />
noch knapp 23 Pfund, hat tiefe, dunkle Ränder um die Augen<br />
und eingefallene Schläfen. Ihr Aussehen erbarmt, so leidend<br />
ist es. Die neue Kur schlägt aber augenblicklich an, der Appetit<br />
hebt sich und die grünliche Gesichtsfarbe verliert sich. Das<br />
Körpergewicht ist zum Stillstand gebracht, und das Wesen heitert<br />
sich merklich auf, und im Oktober, als Ursula geboren wird,<br />
sind wir über die Sorgen hinweg, das Kind blüht von da ab auf,<br />
nimmt tüchtig zu und ist meist heiter. [...] Sie spricht in ganzen<br />
Sätzen und spricht von sich aus „ich“. Das Kleinchen Ursula<br />
(Ursel) wird zärtlich geliebkost „mein Kleines“ genannt, und hat<br />
durch die Liebkosungen schon einige Beulen davongetragen.<br />
Das tägliche Bad interessiert sehr, aber die erste Flasche wird<br />
ihr nicht gegönnt und Gerdha fühlt sich in ihrem Recht beeinträchtigt.<br />
erdha Warmuth<br />
Gewicht<br />
nach der 2ten Woche 3000 gr<br />
nach der 3ten Woche 3350 gr.<br />
nach der 4ten Woche 3580 gr.<br />
jedesmal gegen 80 gr.<br />
nach der 5ten Woche 3715 gr.<br />
beim Trinken oder 7 Strich<br />
nach der 6ten Woche 3960 gr.<br />
Gerdha nimmt jetzt alle drei Stunden<br />
Nahrung zu sich, mit einer sechs-stündigen<br />
Pause während der Nacht.<br />
meine Mutter